Franz Marc

Honoré de Balzac:
"Eine Leidenschaft
 in der Wüste"

 

Dieses Schauspiel ist beängstigend!« rief sie aus, als wir die Menagerie des Monsieur Martin verließen. Sie hatte soeben zugesehen, wie dieser verwegene Dompteur mit seiner Hyäne >arbeitete<, um in der Zirkussprache zu reden. »Durch welche Mittel«, fuhr sie fort, »kann er seine Tiere so gezähmt haben, daß er ihrer Zuneigung sicher genug ist, um...?« »Dieser Umstand, der Ihnen als ein Problem erscheint«, unterbrach ich sie, »ist trotzdem eine ganz natürliche Tatsache.« »Ach!« rief sie aus und ließ ein ungläubiges Lächeln um ihre Lippen spielen. »Glauben Sie denn, die Tiere seien ohne alle Leidenschaften?« fragte ich. »Ich versichere Ihnen, daß wir ihnen alle Laster beibringen können, die wir unserer Zivilisation verdanken.« Sie sah mich mit erstauntem Blick an. » Freilich « , fuhr ich fort, » muß ich gestehen, daß ich, als ich Monsieur Martin zum erstenmal sah, ebenso wie Sie einen überraschten Ausruf nicht unterdrücken konnte. Ich stand damals dicht neben einem ehemaligen Soldaten, dem das rechte Bein amputiert worden war. Er war mit mir zugleich eingetreten.

 Sein Gesicht fiel mir auf. Es war eines jener unerschrockenen, vom Siegel der Kriege geprägten Häupter, auf denen die Schlachten Napoleons geschrieben stehen. Dieser alte Soldat hatte vor allem etwas Offenes und Heiteres an sich, was mich immer für einen Menschen einnimmt, Er war zweifellos einer jener Haudegen, die nichts mehr aus der Fassung bringt, die noch in der letzten Grimasse eines Kameraden etwas zum Lachen finden, ihn fidel begraben oder ausplündern, die ungerührt im Kugelhagel stehen, kurz entschlossen sind und selbst mit dem Teufel einen Bruderbund schließen würden. Nachdem er den Besitzer der Menagerie in dem Augenblick, als dieser aus der Garderobe trat, aufmerksam gemustert hatte, verzog er den Mund, als wollte er mit seinen zusammengekniffenen Lippen spöttische Geringschätzung ausdrücken, so wie überlegene Menschen es tun, um sich von den Dummen zu unterscheiden. Und als ich lauthals über Monsieur Martins Mut staunte, lächelte er und sagte kopfschüttelnd mit gewichtiger Miene: >Längst bekannt!< >Wieso bekannt?< fragte ich; >wenn Sie mir dieses Geheimnis erklären wollen, so wäre ich Ihnen sehr verbunden.<

Kurz darauf, nachdem wir Bekanntschaft miteinander geschlossen hatten, gingen wir in das erstbeste Restaurant essen, an dem wir vorbeikamen. Eine Flasche Champagner zum Dessert ließ die Erinnerungen dieses merkwürdigen Soldaten in ihrer ganzen Klarheit wiederaufleben. Er erzählte mir seine Geschichte, und ich erfuhr, daß er sein >Längst bekannt! < mit gutem Recht gerufen hatte.

 
« Als wir ihr Haus erreicht hatten, quälte sie mich so lange, versprach sie mir so viel, daß ich mich schließlich bereiterklärte, den Bericht des Soldaten für sie aufzuschreiben. Am Tage darauf also erhielt sie diese Episode eines Epos, dem man den Titel >Die Franzosen in Ägypten< geben könnte.

 
Zur Zeit des Feldzugs von General Desaix in Oberägypten fiel ein aus der Provence stammender Soldat Berbern in die Hände und wurde von diesen arabischen Kriegern in die Wüsten jenseits der Nilkatarakte verschleppt. Um zwischen sich und das französische Heer einen sicheren Abstand zu legen, drangen die Araber im Eilmarsch vor und machten erst in der Nacht halt. Sie kampierten um einen von Palmen verdeckten Brunnen, bei dem sie zuvor einige Vorräte vergraben hatten. Da sie nicht vermuteten, daß ihr Gefangener an Flucht denken könnte, begnügten sie sich damit, ihm die Hände zu fesseln, und, nachdem sie ein paar Datteln gegessen und ihren Pferden Gerste gegeben hatten, überließen sich alle dem Schlaf. Sobald nun der verwegene Provenzale sah, daß seine Feinde außerstande waren, ihn zu überwachen, bediente er sich seiner Zähne, um sich eines Sarraß zu bemächtigen, den er zwischen seine Knie klemmte und mit dem er die Stricke, die ihn unfähig machten, seine Hände zu gebrauchen, durchschnitt, so daß er bald frei war. Sogleich nahm er einen Karabiner und einen Dolch an sich, versah sich mit einem Vorrat an trockenen Datteln, mit einem kleinen Sack Gerste und mit Pulver und Kugeln; er schnallte sich den Säbel um, bestieg ein Pferd und machte sich schnell in der Richtung aus dem Staube, in der er das französische Heer vermutete.

 Voller Ungeduld, wieder auf ein Biwak zu stoßen, spornte er das schon ermüdete fferd so sehr an, daß das arme Tier mit zerfetzten Flanken verendete und der Franzose mitten in der Wüste allein blieb. Nachdem er mit dem ganzen Mut eines entsprungenen Sttäflings lange durch den Sand marschiert war, mußte der Soldat haltmachen: der Tag ging zur Neige. Trotz der Schönheit des Himmels in den orientalischen Nächten fühlte er nicht mehr die Kraft, seinen Weg fortzusetzen. Zum Glück hatte er eine Anhöhe erreichen können, auf der einige Palmen wuchsen, deren Silhouette er schon von weitem gesehen hatte, so daß in seinem Herzen die süßesten Hoffnungen erwacht waren. Seine Ermattung war so groß, daß er sich auf einem Granitfelsen niederlegte, der durch eine Laune der Natur wie ein Feldbett geformt war; er schlief dort ein, ohne zuvor die geringsten Vorkehrungen zur Verteidigung während seines Schlafes getroffen zu haben. Er hatte das Opfer seines Lebens bereits gebracht; sein letzter Gedanke war sogar ein Gedanke der Reue. Er bedauerte, die Araber verlassen zu haben, deren Nomadenleben ihm verlockend erschien, seit er fern von ihnen und von jeder Hilfe abgeschnitten war. Ihn weckte die Sonne, deren unerbittliche Strahlen senkrecht auf den Felsen fielen und eine unerträgliche Hitze erzeugten. Nun war der Soldat ungeschickt genug gewesen, sich auf die dem Schatten entgegengesetzte Seite zu legen, den die grünenden und majestätischen Kronen der Palmen warfen ...

 Er betrachtete diese einsam dastehenden Bäume und erbebte. Sie erinnerten ihn an die eleganten, von langgezogenen Blättern gekrönten Schäfte, die die sarazenischen Säulen der Kathedrale von Arles zierten. Aber als er die Palmen gezählt hatte und einen Blick um sich warf, brach er in grauenhafteste Verzweiflung aus. Er sah einen uferlosen Ozean. Der schwärzliche Sand der Wüste erstreckte sich unabsehbar in allen Richtungen hin, und er funkelte wie eine von grellem Licht getroffene Stahlklinge. Er wußte nicht, ob es ein Meer von Spiegeln war oder unzählige spiegelglatte Seen. Ein Feuerdunst wogte flimmernd über den sich bewegenden Sandboden dahin. Der Himmel erstrahlte im orientalischen Glanz von trostlos stimmender Klarheit, denn er läßt der Phantasie nichts mehr zu wünschen übrig. Himmel und Erde standen in Flammen. Die Stille erschreckte durch ihre wilde und grausame Majestät. Die Unendlichkeit, die Unermeßlichkeit bedrängten die Seele von allen Seiten; keine Wolke am Himmel, kein Hauch in der Luft, nichts als reiner Sand, der in winzig kleinen Wellen dahintrieb; schließlich schloß der Horizont wie bei schönem Wetter auf dem Meer alles mit einer Lichtlinie ab, so scharf wie die Schneide eines Säbels. Der Provenzale umschlang den Stamm einer der Palmen, als wäre er ein Freund; dann weinte er im Schutz des dünnen geraden Schattens, den der Baum auf den Granitblock zeichnete, und er setzte sich und betrachtete lange mit unendlicher Trauer die unerbittliche Szenerie, die sich seinen Blicken bot. Er schrie, als wollte er die Einsamkeit auf die Probe stellen. Seine Stimme, die sich in den Ausbuchtungen der felsigen Anhöhe verlor, drang nur als dünner Klang in die Ferne, der kein Echo weckte; das Echo erklang in seinem Herzen. Der Provenzale war zweiundzwanzig Jahre alt. Er lud seinen Karabiner.

 »Dazu wird immer noch Zeit sein«, sagte er und legte die erlösende Waffe beiseite. Während der Soldat mal seine Blicke in die schwarzen, mal in die blauen Weiten schweifen ließ, träumte er von Frankreich. Voller Entzücken roch er die Rinnsteine von Paris, erinnerte sich aller Städte, durch die er gekommen war, der Gesichter seiner Kameraden und an die flüchtigsten Ereignisse seines Lebens. Schließlich gaukelte ihm seine südländische Phantasie gar bald in dem flirrenden Spiel der Hitze, die über der ausgedehnten Wüstenfläche wogte, das Felsgestein seiner geliebten Provence hervor. Da er die Gefahren dieser grausamen Spiegelungen fürchtete, stieg er den Hügel auf der Seite hinab, (die jener, auf der er am Tage zuvor heraufgekommen war, gegenüberlag.

 Seine Freude war groß, als er in den ungeheuren Granittrümmern, die den Grund des Hügels bildeten, eine von der Natur gebildete Grotte fand. Die Reste einer Matte ließen darauf schließen, daß diese Zuflucht einmal bewohnt gewesen war. Dann entdeckte er, einige Schritte entfernt, Palmen, an denen Datteln hingen, und sofort erwachte in seinem Herzen der Instinkt, der uns ans Leben fesselt. Er hoffte, sich so lange am Leben halten zu können, bis Araber vorüberzögen. Vielleicht auch würde er gar bald den Donner von Kanonen hören, zog doch gerade Bonaparte durch Agypten. Von diesem Gedanken belebt, schlug der Franzose ein paar Fruchtkolben mit reifen Datteln herab, unter deren Gewicht die Palmen sich zu biegen schienen; und als er dieses unverhoffte Manna kostete, war er davon überzeugt, daß der einstige Bewohner der Grotte die Palmen angebaut hatte: das saftige und frische Fleisch der Datteln zeugte von der sorgfältigen Pflege seines Vorgängers. Der Provenzale machte plötzlich eine Wandlung von düsterer Verzweiflung zu fast wahnsinniger Freude durch. Er stieg wieder auf den Hügel hinauf und verwandte den Rest des Tages dazu, eine der unfruchtbaren Palmen zu fällen, die ihm am Abend zuvor als Dach gedient hatten.

Eine unklare Erinnerung an die Tiere der Wüste machte ihn nachdenklich; er sah voraus, daß sie zur Tränke an die Quelle kommen würden, die unterhalb der Felsblöcke entsprang und sich im Sand verlor; also beschloß er, sich gegen ihr Auftauchen zu schützen, indem er seine Einsiedelei verbarrikadierte. Trotz seines Eifers, trotz der Kraft, die ihm die Furcht verlieh, während des Schlafes zerfleischt zu werden, schaffte er es nicht, die Palme an diesem Tage in mehrere Stücke zu zerteilen; aber es gelang ihm wenigstens, sie zu fällen. Als gegen Abend diese Königin der Wüste stürzte, hallte der Lärm ihres Falles in der Ferne wider, und es war, als stöhnte die Einsamkeit auf; der Soldat erbebte, als hätte er eine Stimme gehört, die ihm ein Unglück weissagte. Aber wie ein Erbe nicht lange um den Tod eines Verwandten trauert, so beraubte er bald den schönen Baum seiner breiten, langgezogenen Blätter, die seinen poetischen Schmuck bildeten, und er benutzte sie, um die Matte auszubessern, auf der er sich schlafen legen wollte.

 Von der Hitze und der Arbeit ermüdet, schlief er unter dem roten Dach seiner feuchten Höhle ein. Mitten in der Nacht wurde er in seinem Schlummer von einem merkwürdigen Geräusch aufgeschreckt. Er setzte sich auf und vernahm in der tiefen Stille, die herrschte, das Geräusch eines stoßweisen Atems, dessen urwüchsige Stärke keinem menschlichen Geschöpf angehören konnte. Eine entsetzliche Furcht, gesteigert noch durch die ihn umgebende Dunkelheit, die Stille und die Traumbilder des Halbschlafes, ließ sein Herz erstarren. Er spürte nicht einmal, wie sich seine Haare schmerzhaft sträubten, als er mit immer weiter aufgerissenen Augen im Dunkel zwei schwache gelbliche Punkte bemerkte. Erst schrieb er diese irgendeinem Reflex seiner eigenen Augen zu; aber bald vermochte er in der sternenklaren Nacht nach und nach die Gegenstände zu unterscheiden, die sich in der Grotte befanden, und er bemerkte ein ungeheures Tier, das wenige Schritte vor ihm lag. War es ein Löwe; ein Tiger oder ein Krokodil? Der Provenzale war nicht gebildet genug, um zu wissen, zu welcher Gattung sein Feind gehörte; aber seine Angst war nur um so überwältigender, als seine Unwissenheit ihm jedes erdenkliche Unglück zugleich vorspiegelte. Er durchlitt grausame Foltern, während er auf dieses Atmen lauschte, jede Schwankung vernahm, ohne daß ihm das leiseste Geräusch entging und ohne daß er wagte, die geringste Bewegung zu machen. Ein Geruch, ebenso streng wie der von Füchsen, aber durchdringender, intensiver, erfüllte die Grotte; und als der Provenzale diesen Geruch in die Nase bekam, erreichte seine Angst den Höhepunkt, denn er konnte nicht mehr an dem Dasein des furchtbaren Gefährten zweifeln, dessen Königshöhle ihm als Lager diente. Bald darauf erhellte der Widerschein des Mondes, der zum Horizont herniederging, die Höhle, so daß das gefleckte Fell eines Panthers unmerklich zu schimmern begann. Dieser ägyptische Löwe schlief, zusammengerollt wie ein großer Hund, wie der friedliche Inhaber einer prächtigen Hundehütte am Eingang eines großen Hauses; seine Augen, die einen Augenblick lang geöffnet gewesen waren, hatten sich wieder geschlossen. Er lag mit dem Gesicht dem Franzosen zugekehrt. Tausend wirre Gedanken schossen dem Gefangenen des Panthers durch den Sinn; erst wollte er das Tier mit einem Flintenschuß töten; aber er merkte, daß zwischen ihm und dem Raubtier nicht Raum genug war, um zu zielen: das Rqhr hätte über den Panther hinausgeragt. Und wenn dieser erwachte? ...Der bloße Gedanke ließ ihn erstarren. Als er in der tiefen Stille sein Herz schlagen hörte, verfluchte er das starke Pochen, das der Blutandrang hervorrief, denn er fürchtete, den Schlummer des Tieres zu stören, der ihm erlaubte, ein Mittel zur Rettung zu suchen. Zweimal legte er die Hand an seinen Säbel, um seinem Feind den Kopf abzuschlagen; aber die Schwierigkeit, ein hartes und glattes Fell zu durchschlagen, zwang ihn, auf diesen verwegenen Plan zu verzichten. >Ihn verfehlen, das wäre der sichere Tod<, dachte er. Da waren ihm die Möglichkeiten eines Kampfes lieber, und er beschloß, den Tag abzuwarten; und der Tag ließ nicht lange auf sich warten.

 Jetzt konnte der Franzose den Panther genau betrachten; sein Maul war blutbeschmiert. ,Er hat gut gefressen!< dachte er, ohne sich darum zu bekümmern, ob das Festmahl aus Menschenfleisch bestanden haben mochte. ,Er wird keinen Hunger haben, wenn er erwacht.< Es war ein Weibchen. Das Fell am Bauch und an den Schenkeln glänzte weiß. Kleine samtige Tupfer reihten sich wie Armreifen um die Tatzen. Der starke Schweif war gleichfalls weiß, hatte aber schwarze Ringe am Schwanzende. Das obere Haarkleid war gelb wie mattes Gold, aber glatt und weich, und es trug jene charakteristischen Flecken, die, in sich schattiert und wie Rosenblüten geformt, den Panther von anderen Wildkatzen unterscheiden. Diese ruhig daliegende, furchtbare Gastgeberin schnarchte in einer nicht minder anmutigen Stellung als die einer Katze, die auf dem Kissen einer Ottomane ruht. Ihre blutigen, sehnigen und krallenbewehrten Tatzen hielt sie unter ihrem Kopf hervorgestreckt, der darauf ruhte und von dem spärlich und geradegewachsen die Barthaare wie Silberfäden abstanden. Wenn sie in einem Käfig gelegen hätte, würde der Provenzale sicherlich die Anmut dieser Raubkatze und die kräftigen Kontraste ihrer leuchtenden Farben bewundert haben, die ihrem Kleid einen kaiserlichen Glanz verliehen; aber in diesem Augenblick fühlte er, wie sein Auge sich bei diesem unheildrohenden Anblick trübte. In der Gegenwart des Panthers, sogar wenn dieser schlief, fühlte er sich wie ein Kaninchen unter dem hypnotischen Blick der Schlange. Angesichts dieser Gefahr verlor der Soldat schließlich einen Augenblick lang all seinen Mut, der unter dem Kartätschenfeuer der Kanonen hingegen zweifellos gestiegen wäre. Am Ende jedoch blitzte ein verwegener Gedanke in ihm auf und ließ den kalten Schweiß, der ihm von der Stirn rann, versiegen. Er handelte wie diejenigen Menschen, die, vom Unglück bis zum Äußersten getrieben, schließlich dem Tode trotzen, ja sich ihm selber darbieten; und ohne daß er es sich klarmachte, sah er in diesem Abenteuer eine Tragödie, in der er seine Rolle bis zur letzten Szene ehrenhaft zu spielen beschloß. >Vorgestern hätten mich vielleicht Araber getötet!< sagte er sich. So hatte er sich mit dem Tod schon abgefunden und harrte gefaßt und in unruhiger Neugier auf das Erwachen seiner Feindin.

Als die Sonne aufging, öffnete der Panther plötzlich die Augen, streckte den Körper, spreizte dabei die Krallen weit auseinander, als wollte er die Tatzen geschmeidig machen und die Starre des Schlafes vertreiben. Dann gähnte er und zeigte dabei seine schrecklichen Zähne und seine gefurchte Zunge, die hart war wie eine Reibe. >Sie führt sich auf wie eine Kokette!< dachte der Franzose, als er sah, wie die Bestie sich wälzte und sich dabei sanft und schmeichlerisch bewegte. Sie leckte sich das Blut ab, das ihre Tatzen und ihre Lefzen färbte, und mit possierlichen Gesten kratzte sie sich immer wieder den Kopf. >Schön! ...Mach' ein bißchen Toilette. ..!< sagte der Franzose bei sich selber, denn mit dem Mut kehrte auch seine Heiterkeit zurück. >Jetzt wollen wir uns Guten Morgen sagen.< Und er ergriff den kleinen kurzen Dolch, den er den Arabern genommen hatte. In diesem Augenblick kehrte das Pantherweibchen dem Franzosen den Kopf zu und sah ihn fest an, ohne sich zu rühren. Vor ihren metallisch starren und unerträglich klaren Augen erbebte der Provenzale, besonders als das Tier plötzlich auf ihn zukam. Aber er sah es zärtlich an, und mit einem Blick, als wolle er ihm seinen Willen aufzwingen, ließ er es dicht zu sich herankommen; dann strich er ihm mit einer Bewegung, so sanft, so liebevoll, als wollte er die hübscheste Frau streicheln, mit der Hand über den ganzen Körper hin, vom Kopf bis zum Schweif; und mit den Nägeln reizte er die geschmeidigen Wirbel, die den gelben Rücken des Panthers teilten. Wollüstig hob die Bestie den Schweif, ihre Augen umflorten sich; und als der Franzose diese berechnende Liebkosung zum drittenmal ausführte, ließ sie ein Schnurren vernehmen, ähnlich dem, durch das die Katzen ihr Wohlbehagen zu erkennen geben; aber dieses Schnurren kam aus einer so tiefen und gewaltigen Kehle, daß es in der Grotte widerhallte gleich dem letzten Baßbrummen der Orgel in einer Kirche. Da der Provenzale die Bedeutung seiner Liebkosungen begriff, setzte er sie nur um so eifriger fort, denn er wollte diese gebieterische Kurtisane betäuben und einschläfern. Als er sicher zu sein glaubte, daß die Wildheit seiner launischen Gefährtin, die zum Glück ihren Hunger am Tage zuvor gestillt hatte, besänftigt war, stand er auf und wollte die Höhle verlassen. Das Pantherweibchen ließ ihn ruhig hinaus; als er aber den Hügel erklommen hatte, sprang sie ihm leicht wie ein Sperling, der von Zweig zu Zweig hüpft, nach und rieb sich an den Beinen des Soldaten, wobei sie nach Katzenart den Rücken krümmte; dann sah sie ihren Gast mit Augen an, deren Glanz weniger unbeugsam geworden war, und stieß jenes wilde Brüllen aus, das die Naturkundigen mit dem Geräusch einer Säge vergleichen. "Sie ist anspruchsvoll! « rief der Franzose lächelnd. Er versuchte, mit ihren Ohren zu spielen, ihr den Bauch zu streicheln und ihr kräftig mit den Nägeln den Kopf zu kraulen. Und als er merkte, welchen Erfolg er damit hatte, kitzelte er ihr den Schädel mit der Spitze seines Dolches, während er auf den Augenblick lauerte, sie zu töten; aber die Härte der Knochen ließ ihn zurückschrecken und ein Mißlingen fürchten. Die Sultanin der Wüste erkannte die Talente ihres Sklaven an, indem sie den Kopf hob, ihm den Hals hinreckte und durch ihre ruhige Stellung wollüstiges Behagen verriet. Unvermittelt fiel dem Franzosen ein, daß er dieser wilden Prinzessin, um sie auf einen Schlag zu töten, den Dolch in die Kehle stoßen müßte. Er hob schon die Klinge, als sie sich plötzlich, ohne Zweifel befriedigt, anmutig zu seinen Füßen zusammenrollte; von Zeit zu Zeit hob sie den Blick zu ihm auf, und trotz einer angeborenen Härte spiegelte sich in den Augen ein dunkles Wohlwollen.

Der arme Provenzale lehnte sich an eine der Palmen und aß seine Datteln; aber er ließ forschend den Blick umherstreifen, mal durch die Wüste, um nach Rettern auszuschauen, mal über seine furchtbare Gefährtin, um sich ihrer ungewissen Gunst zu versichern. Das Pantherweibchen wandte jedesmal, wenn er einen Dattelkern fortwarf, den Kopf der Stelle zu, wo er hinfiel, und dann zeigten ihre Augen den Ausdruck unsäglichen Mißtrauens. Sie überwachte den Franzosen mit kaufmännischer Vorsicht; aber diese Prüfung fiel günstig für ihn aus, denn als er sein frugales Mahl beendet hatte, leckte sie ihm die Schuhe, von denen sie mit ihrer rauhen und kräftigen Zunge wie durch ein Wunder selbst den Staub beseitigte, der sich in die Falten eingelagert hatte. >Aber wenn sie hungrig wird?< dachte der Provenzale. Trotz des Schauders, der ihn bei diesem Gedanken durchlief, begann der Soldat neugierig die Größe des Tieres abzuschätzen; es war sicherlich eins der schönsten Exemplare der Gattung, denn es maß in der Höhe drei Fuß und in der Länge vier, den Schweif nicht eingeschlossen. Diese gewaltige Waffe, die rund war wie ein Knüttel, maß ebenfalls beinahe drei Fuß. Der Kopf, der so groß war wie der einer Löwin, zeichnete sich durch eine seltene Feinheit des Ausdrucks aus; wohl herrschte in ihm die kalte Grausamkeit der Tiger vor, aber er hatte auch eine ferne Ähnlichkeit mit der Physiognomie einer verschlagenen Frau. Das Gesicht dieser einsamen Königin schließlich verriet in diesem Augenblick eine Art Lustigkeit, ähnlich der des betrunkenen Nero: die Bestie hatte sich am Blut gesättigt und war zum Spielen aufgelegt. Der Soldat versuchte hin und her zu gehen; der Panther ließ ihm seine Freiheit und begnügte sich damit, ihm mit den Augen zu folgen; er glich auf diese Weise weniger einem treuen Hund als einer großen Angorakatze, die alles beunruhigt, selbst die Bewegungen ihres Herrn. Als er sich umwandte, sah er hinter der Quelle die Reste seines Pferdes; bis dahin hatte der Panther den Kadaver geschleppt. Zwei Drittel etwa waren verzehrt. Dieser Anblick beruhigte den Franzosen. Es war jetzt leicht, die Abwesenheit des Tieres zu erklären, sowie auch, daß es den Menschen während seines Schlafes geschont hatte. Dieser erste Glücksumstand ermutigte ihn, es auch weiterhin darauf ankommen zu lassen, und er erwog die wahnsinnige Hoffnung, den ganzen Tag hindurch mit dem Pantherweibchen friedlich zusammenzuleben, indem er kein Mittel versäumte, es zu zähmen und seine Gunst zu gewinnen. Er kehrte zu ihr zurück, und ihm wurde das unsägliche Glück zuteil, daß er sah, wie sie in einer fast unmerklichen Bewegung den Schweif hob. Da setzte er sich furchtlos neben sie, und sie begannen miteinander zu spielen; er faßte ihre Tatzen, ihre Schnauze, drehte ihr die Ohren, wälzte sie auf den Rücken und kraulte kräftig ihre heißen und seidigen Flanken. Sie ließ es geschehen; und als der Soldat versuchte; ihr das Fell an den Tatzen zu glätten, zog sie sorgsam die Krallen ein, die krumm waren wie die Säbel der Türken. Der Franzose, der die eine Hand auf dem Dolch hielt, dachte noch einmal daran, ihn der allzu vertrauensseligen Bestie in den Leib zu bohren; aber er fürchtete, sie würde ihm im Todeskampf, der sie aufgucken lassen müßte, sogleich die Kehle zerbeißen. Und zudem vernahm er in seinem Herzen eine Stimme des Gewissens, die ihm zurief, ein Geschöpf, das sich harmlos verhielt, zu schonen. Ihm war, als hätte er in dieser grenzenlosen Wüste eine Freundin gefunden. Unwillkürlich dachte er an seine erste Geliebte, die er >Liebling< genannt hatte, und zwar widersinnigerweise, denn sie war von so wilder Eifersucht besessen gewesen, daß er während der ganzen Zeit ihrer Leidenschaft das Messer zu fürchten gehabt hatte, das ihm stets angedroht wurde. Diese Erinnerung an seine Jugend gab ihm den Gedanken an den Versuch ein, das junge Pantherweibchen, dessen Behendigkeit, Anmut und Weichheit er jetzt mit weniger Angst bewunderte, an diesen Namen zu gewöhnen. Als der Tag zur Neige ging, hatte er sich mit seiner gefährlichen Lage abgefunden, ja er liebte seine Ängste fast. Und seine Gefährtin hatte sich schließlich schon daran gewöhnt, ihn anzusehen, wenn er mit hoher Stimme > Liebling< rief. Beim Sonnenuntergang ließ sie wiederholt ein tiefes und melancholisches Brüllen vernehmen. >Sie ist gut erzogen<, dachte der lustige Soldat, >sie spricht ihr Gebet!< Aber dieser unausgesprochene Scherz war ihm erst in den Sinn gekommen, als er erkannte, in welcher friedlichen Haltung seine Kameradin verharrte. >Geh, kleine Blonde, du darfst dich zuerst schlafen legen<, sagte er, denn er zählte auf die Behendigkeit seiner Beine, um aufs schnellste zu entfliehen, wenn sie eingeschlafen wäre; er wollte sich für die Nacht ein anderes Lager suchen. Ungeduldig wartete der Soldat auf den Zeitpunkt zur Flucht; und als er gekommen war, schritt er eilig in die Richtung auf den Nil davon. Kaum aber hatte er eine viertel Meile im Sand zurückgelegt, so hörte er schon das Pantherweibchen hinter sich herspringen; es stieß von Zeit zu Zeit jenen sägeartigen Laut aus, der noch beängstigender war als das schwere Geräusch ihrer Sprünge. >Also<, sagte er, >sie hat Freundschaft mit mir geschlossen! Vielleicht ist dieses junge Weibchen noch niemandem begegnet; es ist schmeichelhaft, ihre erste Liebe zu besitzen.< In diesem Augenblick geriet der Franzose in einen jener für den Fremden so gefährlichen lockeren Sandseen, aus denen sich zu retten unmöglich ist. Als er sich dort versinken fühlte, stieß er einen Schreckensschrei aus; das Pantherweibchen packte ihn mit den Zähnen am Kragen, sprang mit einem kraftvollen Satz zurück und riß ihn wie durch Zauber aus dem Abgrund heraus. »Ah, Liebling«, rief der Soldat, indem er sie wie wild dankbar liebkoste, »jetzt sind wir auf ewig in Freundschaft verbunden.« Es sollte keine Hinterhältigkeit mehr geben. Und er kehrte um. Die Wüste war für ihn von jetzt an gleichsam bevölkert; in ihr lebte ein Wesen, mit dem der Franzose reden konnte und dessen Wildheit ihm gegenüber verschwunden war, ohne daß er sich die Gründe dieser unglaublichen Freundschaft erklären konnte. So mächtig auch das Verlangen des Soldaten war, auf den Füßen und auf der Hut zu bleiben, so schlief er doch jein.

Als er erwachte, sah er den Liebling nicht mehr; er stieg auf den Hügel und sah in der Ferne, wie sie in Sprüngen herbeigelaufen kam; all diese Tiere springen, denn den einfachen Lauf macht ihnen die große Biegsamkeit ihrer Wirbelsäule unmöglich. Liebling kam mit blutigen Lefzen. Sie erhielt die nötigen Liebkosungen, die ihr Gefährte ihr zuteil werden ließ; und sie bezeigte sogar durch ein wiederholtes tiefes Schnurren, wie glücklich sie war. Ihre äußerst weichen Augen ruhten noch milder als am Tage zuvor auf dem Provenzalen, der wie zu einem Haustier zu ihr sprach: "Oh, oh, Mademoiselle, wir sind aber ein anständiges Mädchen, nicht wahr? Seht einmal an! ...Wir lassen uns gern streicheln. Schämen Sie sich nicht? Sie haben irgendeinen Araber gefressen? ... Na, schön! Und doch sind das Tiere wie Sie! ...Wenigstens werden Sie mir keine Franzosen verspeisen! ...Dann hätte ich Sie nicht mehr lieb! « Sie spielte wie ein junger Hund mit ihrem Herrn; sie ließ sich abwechselnd auf den Rücken wälzen, liebevoll klopfen und schmeicheln, und bisweilen trieb sie den Soldaten an, indem sie wie mit bittender Geste die Tatze auf ihn legte. In dieser Weise vergingen ein paar Tage. Seine Gesellschaft erlaubte dem Provenzalen, die erhabene Schönheit der Wüste zu bewundern. Sobald er Stunden der Furcht und der Ruhe, Nahrung und ein Geschöpf gefunden hatte, an das er denken konnte, bewegten die Gegensätze seine Seele. ..Es war ein Leben voller Kontraste. Die Einsamkeit offenbarte ihm all ihre Geheimnisse, hüllte ihn ein in ihren Zauber. Er sah im Aufgang und Untergang der Sonne Schauspiele, wie sie die Welt nicht kannte. Er konnte erzittern, wenn er über sich das leise Schwirren der Flügel eines Vogels vernahm- eines seltenen Gastes -, oder wenn er beobachtete, wie die Wolken sich ineinanderschoben -die wechselnden und farbenreichen Wanderer! Nachts studierte er die Lichtwirkungen des Mondes auf dem Sandmeer, in das der Samum Wogen warf, Wellen, und das im raschen Wechsel. Er begann zu leben mit dem Tag des Orients, er bewunderte seinen märchenhaften Prunk; und oft, wenn er das furchtbare Schauspiel eines Sturmes auf dieser Ebene gesehen hatte, wo der emporgewirbelte Sand rote und trockene Nebel und todbringende Wolken schuf, sah er die Nacht voll Entzücken nahen, denn dann senkte sich die wohltuende Frische der Sterne nieder. Er lauschte auf die unwirkliche Musik der Himmel. Und dann lehrte ihn die Einsamkeit, die Schätze des Traums zu entfalten. Ganze Stunden brachte er damit zu, sich irgendwelcher Nichtigkeiten zu entsinnen, sein vergangenes Leben mit seinem gegenwärtigen zu vergleichen. Dann aber ergriff ihn eine Leidenschaft zu seinem Pantherweibchen, denn er brauchte etwas, was er lieben konnte. Sei es, daß sein Wille, der, kraftvoll geäußert, den Charakter seiner Gefährtin geändert hatte, sei es, daß sie, dank der Kämpfe, die in diesen Wüsten stattfanden, reichliche Nahrung fand, jedenfalls schonte sie das Leben des Franzosen, der schließlich, als er sie so gezähmt sah, jedes Mißtrauen fallenließ. Den größten Teil der Zeit verwandte er auf den Schlaf; aber wie eine Spinne in ihrem Gewebe mußte er dennoch wachen, um den Augenblick der Befreiung nicht zu verpassen, wenn jemand innerhalb seiner Sichtweite vorüberkommen sollte. Er hatte sein Hemd geopfert, um eine Fahne daraus zu machen, die er oben an eine kahle Palme hängte. Die Not war ihm ein guter Ratgeber, und also fand er ein Mittel, sie mit Hilfe von Stäben aufzuspannen; denn es war ja möglich, daß der Wind sie in dem Augenblick, in dem der erwartete Wanderer in die Wüste spähte, gerade nicht aufblies. .. Mit dem Pantherweibchen vergnügte er sich in den langen Stunden, da er von hoffnungsloser Stimmung erfüllt war. Er hatte schließlich die verschiedene Tönung ihrer Laute, den Ausdruck ihrer Blicke verstehen gelernt; er hatte die Launen all der Flecke studiert, die das Gold ihres Kleides abstuften - Liebling knurrte nicht einmal mehr, wenn er das Büschel in die Hand nahm, mit dem ihr furchtbarer Schwanz abschloß, um die schwarzen und weißen Ringe zu zählen, diesen anmutigen Schmuck, der in der Sonne schon von fern wie ein Geschmeide glänzte. Er fand sein Vergnügen daran, die vollen und feinen Linien ihres Körpers zu betrachten, die Weiße ihres Bauches, die Anmut ihres Kopfes. Vor allem aber, wenn sie spielte, sah er sie wohlgefällig an; immer von neuern überraschten ihn die Behendigkeit und die Jugend ihrer Bewegungen. Er bewunderte ihre Geschmeidigkeit, wenn sie zu springen, zu klettern, zu gleiten, zu kriechen, sich anzuklam- mern, sich zu wälzen, sich hinzuschmiegen und überall herumzuwerfen begann. Wie gewaltig auch ihr Schwung, wie glatt der Granitfels war, so blieb sie bei dem Wort ,Liebling< doch auf der Stelle stehen. Eines Tages schwebte bei grellem Sonnenschein ein ungeheurer Vogel in der Luft. Der Provenzale verließ sein Pantherweibchen, um diesen neuen Gast zu betrachten, aber nach einem Augenblick des Wartens knurrte die verlassene Sultanin dumpf. "Bei Gott, ich glaube, sie ist eifersüchtig!« rief er, als er ihre wieder streng gewordenen Augen sah. "In diesen Leib ist die Seele der Virginia gefahren, soviel steht fest!« Der Adler verschwand in den Lüften, während der Soldat den gewölbten Rücken des Pantherweibchens bewunderte. Es lag so viel Anmut und Jugend in ihren Formen! Sie war hübsch wie eine Frau. Der blonde Pelz ihres Kleides verschmolz in feinen Tönen mit dem matten Weiß an den Läufen. Das Licht, das die Sonne verschwenderisch herabgoß, ließ dieses lebendige Gold, diese braunen Flecken erglänzen und verlieh ihnen unerklärliche Reize. Der Provenzale und das Pantherweibchen sahen sich einander verstehend an. Die Kokette erbebte, als sie fühlte, wie ihr der Nagel ihres Freundes den Schädel kraulte; ihre Augen glänzten auf wie zwei Blitze, und dann schloß sie sie fest. "Sie hat eine Seele!« sagte er, indem er die ruhige Unbesorgtheit dieser Königin der Wüste studierte, die goldig war wie der Sand selbst, weiß wie er, einsam und glühend wie er. .. »

 

Nun « , sagte sie, » ich habe Ihre Verteidigungsrede zugunsten der Bestien gelesen; aber wie hat das Verhalten dieser beiden Wesen, die so sehr dazu geschaffen waren, sich zu verstehen, geendet?« »Ah, ja! Es ging zu Ende wie alle großen Leidenschaften: durch ein Mißverständnis. Man glaubt auf der einen wie auf der andern Seite an einen Verrat, aus Stolz läßt man es zu keiner Auseinandersetzung kommen, und man überwirft sich aus Eigensinn. « »Zuweilen gar in den schönsten Augenblicken«, sagte sie; »ein Blick, ein Ausruf, das genügt. ..Nun, erzählen Sie also die Geschichte zu Ende. «Das ist furchtbar schwierig; aber Sie werden verstehen, was der alte Brummbär mir schon anvertraut hatte, als er seine Flasche Champagner leerte und ausrief:

 

 >Ich weiß nicht, was ich ihr getan hatte, aber sie wandte sich um, als sei sie wütend; und mit ihren scharfen Zähnen biß sie mich in den Schenkel, ohne Zweifel noch ziemlich leicht. Ich glaubte, sie wolle mich fressen, und bohrte ihr den Dolch in den Hals. Sie wälzte sich herum, indem sie einen Schrei ausstieß, der mein Herz erstarren ließ; ich sah, wie sie ohne Groll verendete. Um alles in der Welt, um mein Kreuz, das ich damals noch nicht besaß, hätte ich sie dem Leben zurückgeben mögen. Es war, als hätte ich wirklich einen Menschen ermordet. Und die Soldaten, die meine Fahne gesehen hatten und mir zu Hilfe kamen, fanden mich in Tränen ...Nun, Monsieur<, fuhr er nach einer Weile des Schweigens fort, >ich habe inzwischen in Deutschland, Rußland und Frankreich im Kriege gestanden; ich habe meinen Leichnam hübsch spazieren geführt, aber ich habe nichts gesehen, was der Wüste gleichkäme. ..Ah, das ist so schön!<

>Was haben Sie dort empfunden?< fragte ich. >Oh, das läßt sich nicht sagen, junger Mann. Übrigens sehne ich mich nicht immer nach meinem Palmenbusch und meinem Pantherweibchen zurück. ..Dazu muß ich traurig sein. In der Wüste, sehen Sie, da ist alles, und da ist nichts. ..< >Immerhin, erklären Sie mir. ..< >Nun<, sagte er, wobei ihm eine Bewegung der Ungeduld entschlüpfte, >da ist Gott ohne die Menschen.«<

 

Paris, I832

Aus: Honoré de Balzac: "Die Menschliche Komödie"
Die großen Romane und Erzählungen in zwanzig Bänden

Band 20: "Eine dunkle Affäre"
Erzählungen aus der napoleonischen Sphäre
Aus dem Französischen von Felix Paul Greve
Copyright by insel  taschenbuch, 1996

 


Oktober 2015
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