"Der technische Fortschritt
ist wunderbar, aber der kulturelle muss ihm auf den Fersen bleiben. Und
das ist keine Aufgabe für die Hirnforschung, sondern für Erziehung."
GUSTAV SEIBT,
Süddeutsche Zeitung vom 30./31. Januar 2010
Deutschlandfunk
am 4. Februar 2010:
CHRISTOPH HEINEMANN im Gespräch mit
WOLFGANG BERGMANN, Leiter des
Instituts für Kinderpsychologie und Lerntherapie in Hannover:
HEINEMANN:
Herr Bergmann, Sie haben es eben gesagt:
Wenn man kleineren Kindern, also Ein- bis Sechsjährigen, während des
Spielens zuschaut, dann hat man manchmal den Eindruck, als befinden sie
sich in einer anderen Welt. Was geschieht genau in einem Kinderhirn, wenn
ein Kind spielt?
BERGMANN:
Es passieren zwei oder drei Dinge gleichzeitig. Das eine ist:
Kinder verfügen über das, was wir verlernt haben, nicht nur über Fantasie,
sondern fantasmisches Erleben, nenne ich das mal. Das heißt, sie erleben
dann die Dinge so, wie wir die Realität erleben, aber ganz jenseits dieser
normativen und geordneten Welt. Das ist eine unendlich plastische Welt,
die die Kinder dann verändern. Das gibt ihnen auch die Gewissheit: "Ich
beherrsche das Ganze hier." Das ist wichtig für das Selbstgefühl. Sie
geben ihm aber auch eine Ordnung. So schließen sie an an die Ordnung der
Dinge, Zeit und Raum und was dergleichen mehr ist. Die Grundlagen der
Vernunft werden gleichzeitig mit dem Ausagieren des Fantastischen und
Magischen von den Kindern erworben. Deswegen ist so wichtig, dass man
denen Märchen vorliest, dass man mit ihnen spannende Geschichten erlebt,
und Erwachsene, die sich dann mal hinknien, nicht alles besser wissen,
sondern so ganz allmählich sich spielerisch mit in diese Fantasiewelt
einfinden, die erleben noch mal eine Dimension des Wirklichen, die ihnen
vorher fast schon verschlossen worden war.
HEINEMANN:
... Womit sollten
Kinder spielen?
BERGMANN: Mein
Lieblingsbeispiel oder meine zwei Lieblingsbeispiele sind einmal diese
kleinen Figuren, mit denen man Bauernhöfe oder auch ganze Straßenzüge
aufbauen kann. Da verliert sich ein Kind in eine kleine
Fantasielandschaft. Das heißt, die kreativen Impulse werden bewegt. Aber
gleichzeitig lernt es auch eine Ordnung herzustellen. Der ganze Laden muss
ja irgendwie funktionieren. Auch das wird sozusagen in die
Geschicklichkeit der Hände und in die Überlegenheit der Vernunft
aufgenommen. Diese Kinder sind wie versunken in dieser kleinen Welt. Das
ist gutes Spielzeug.
Für die etwas ungeduldigeren sind aber auch die Spielzeuge, die man so
nach einem Modell relativ schnell zusammenbasteln kann, aber nicht zu
schnell. Eine halbe Stunde, dreiviertel Stunde soll man sich schon
abschuften, bevor man dann irgendein Flugzeug zusammengebaut hat. Es kommt
ein bisschen auf das Kind an. Manche sind sehr fantasievoll, sehr still,
die brauchen eher dieses erste Beispiel; andere werden schnell ungeduldig,
da muss es sozusagen klicken und klappen. Aber in jedem Fall muss es
unfertig sein.
HEINEMANN: Wie
wichtig ist Spielen überhaupt für Kinder?
BERGMANN:
Spielen ist für Kinder so wichtig, wie später Lesen und Schreiben lernen
und für uns Erwachsene unsere Arbeit. Das heißt, Spielen ist zum einen:
die Kinder machen sich die Welt vertraut. Das ist eine Riesenaufgabe. Wir
Erwachsenen haben oft gar nicht genug Respekt davor. Diese Welt ist ja
völlig unerkundet, diese Kleinen wissen nichts, weder körperlich, noch
seelisch von dieser Welt, und jetzt bauen sie sich ihre Spielwelt auf und
erschließen sich die Funktion, die Eigenart, entwickeln aber auch die
Feinfühligkeit ihrer Hände, der Anspannung der Muskeln und der ganzen
Plastizität ihres Verstandes.
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