Neues Chorliederbuch


           

Hugo Distler: Neues Chorliederbuch op. 16
"Kalendersprüche"
Zu Worten von Heinz Grunow
                       Carmina Mundi, Aachen - Leitung: Harald Nickoll
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Juli

Das ist des Jahres hohe Zeit,
die Sonne kommt hernieder,
und auf den Wegen wandern weit
der Hirten stille Lieder.

Das ist des Jahres hohe Zeit,
das Korn in reifen Ähren,
und Herr und Magd und Knecht bereit,
am Werk sich zu bewähren.


           

Hugo Distler: Neues Chorliederbuch op. 16
"Fröhliche Lieder"
Zu Worten von Heinz Grunow
                              Carmina Mundi, Aachen - Leitung: Harald Nickoll

Serenade
(Text von Abraham a Sancta Clara)

Hier sind wir arme Narrn
auf Plätzen und auf Gassen
und tun die ganze Nacht
mit unsrer Musik passen.

Sobald  der helle Tag
sich nur beginnt zu neigen,
gleich stimmen wir die Laut,
die Harfen und die Geigen.

Mit diesen laufen wir
zu mancher Schönen Haus
und legen unsern Kram,
Papier und Noten aus.

Der erste gibt den Takt,
der andre bläst die Flöten,
der dritte schlägt die Pauk,
der vier' stößt die Trompeten.

Ein andrer aber spielt
Theorb und Galisch an
mit gar besonderm Fleiß,
so gut er immer kann.

Wir pflegen auch so lang
an einem Eck zu hocken,
bis wir ein schön Gespenst
hin an das Fenster locken.

Da  fängt man alsbald an
vor der Geliebten Tür
verliiebte Arien
mit Pausen und Suspir.

Refrain: Ach, schönste Phyllis,
hör doch unser Musizieren
und laß uns nur eine Nacht
in deinem Schoß pausieren.

Und sollten vor der Wacht
wir endlich weichen müssen,
so macht man  statt der Händ
die Läufe mit den Füßen.


           

Hugo Distler: Neues Chorliederbuch op. 16
"
Kalendersprüche"
Zu Worten von Heinz Grunow
                               Carmina Mundi, Aachen - Leitung: Harald Nickoll

Sonnenwende

Die Sonne wendet ihren Lauf,
die Erntezeit beginnet,
die Höhenfeuer flammen auf,
so reihet euch und springet.

Es wendet sich am Baum das Blatt,
der Herbst kommt angeritten,
gib Sonne, Herre, früh und spat,
das wollen wir dich bitten.



           

Hugo Distler: Neues Chorliederbuch op. 16
"Kalendersprüche"
Zu Worten von Heinz Grunow
                       Carmina Mundi, Aachen - Leitung: Harald Nickoll


August: Ritornell

Der Tau tut dem August so not
wie jedermann das täglich Brot;
gar schön Wetter zu Mariä Himmelfahrt,
verkündet Wein von bester Art.



           

Hugo Distler: Neues Chorliederbuch op. 16
"Kalendersprüche"
Zu Worten von Heinz Grunow
                       Carmina Mundi, Aachen - Leitung: Harald Nickoll                       

Die Ernte

So freuet euch, es naht die Zeit,
die herrlichste von allen,
die Garben warten weit und breit,
die letzten Halme fallen.

Wir bringen dir die Krone dar
und wünschen ein langes Leben,
und möchte der Acker übers Jahr
eine reiche Ernte geben.



           

Hugo Distler: Neues Chorliederbuch op. 16
"Minnelieder"
Zu Worten von Heinz Grunow
                              Carmina Mundi, Aachen - Leitung: Harald Nickoll

Sommerliches Liebeslied (2. Fassung)

Du führst den Morgen vor das Tor,
der Mittag trägt verklärt dein Bild,
du bist der schönste Blumenflor,
du bist der Vogel und das Wild.

Und wenn der Himmel mondbewacht
die Erde sanft in Träumen hält,
hebst du die Sterne in die Nacht
und führst den Herrgott durch die Welt.



Anmerkung:
Hugo Distler beschwor in den Kalendersprüchen seines Neuen Chorliederbuches Archetypen - einfache Urbilder des Lebens und der Welt, die alle Menschen in sich bewahren: die Sonne und das Feuer, den Regen, den Laib Brot, die Erde.

Neben den ausdrucksvollen Minneliedern, den Bauernliedern und den Fröhlichen Liedern (darunter die heitere Serenade nach einem Text des Barockdichters Abraham a Sancta Clara) steht also im Neuen Chorliederbuch der Jahreszyklus der Kalendersprüche: Jeder neue Monat im Jahr beginnt mit einer ritornellartigen Bauernregel, in deren holzschnittartigem, "einfältigen" Charakter man noch Distlers ursprüngliche Absicht durchhört, "schwer daherschreitende" Lieder für Männerchor zu komponieren - so wie er es in einem Brief vom 31. Dezember 1935 an den Jurastudenten Heinz Grunow formuliert hatte.

Auf jede Bauernregel folgt ein individuell gestalteter Liedsatz, der eine charakteristische  Stimmung des jeweiligen Monats erfasst und musikalisch darstellt, und gerade von diesen individuellen Liedsätzen geht ein schwer zu beschreibender Reiz und Zauber aus.

Im Kontrast dazu hat Distler den zwölf ritornellartigen Bauernregeln, die den individuellen Liedsätzen jeweils vorangehen, seiner ursprünglichen Absicht entprechend, einen eher holzschnittartigen, "einfältigen" Charakter verliehen.

Der Komponist selbst hielt sich allerdings nicht an dieses Schema: Bei der Uraufführung von Kalendersprüchen aus dem Neuen Chorliederbuch in Graz im Jahre 1939 ließ Distler nur eine der Bauernregeln - und zwar die für den Monat Januar - singen. Danach folgten sechs individuelle Liedsätze zu verschiedenen Monaten. Die von Hugo Distler damals gewählte Satzabfolge soll hier wiedergegeben werden: 1. "Bauernregel für Januar" - 2. "Lichtmeß" - 3. "Frühlingsanfang" - 4. "Der Maie" - 5. "Das große Danklied" - 6. "Martinstag" - 7. "Ich brach drei dürre Reiselein".

In der Komposition für November - Martinstag - scheint eine letzte, sehr schwermütige Reminiszenz an Hugo Distlers geliebten Stiefgroßvater Johann Michael Herz mit anzuklingen - an jenen Menschen, der einst - dem Heiligen Martin des frommen Volkes gleich - alles, was er besaß, mit seinem Enkel geteilt hatte. (Nach: Barbara Distler-Harth: Hugo Distler. Lebensweg eines Frühvollendeten. Schott-Verlag, Mainz 2008, S. 221 f.)







 

 

 

 

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