Bartóks Einfluss in Distlers Klavierstücken für die Jugend
Im Juni 1935 vollendete Hugo
Distler seine große fünfstimmige Motette Wachet
auf, ruft uns die Stimme aus der Geistlichen
Chormusik.
Von
da an lässt sich eine Wendung Distlers hin zu weltlicher Chor- und
Instrumentalmusik feststellen. Die Jenseits-Thematik seiner Werke (wie etwa des
Totentanz) tritt langsam in den Hintergrund und er wendet sich in seiner
kompositorischen Arbeit mehr und mehr diesseitigen Themen zu: der Schönheit der
Schöpfung und den elementaren Freuden und Leiden des menschlichen Daseins. Den
Anfang dazu machte Hugo Distler mit der Komposition seiner Elf kleinen Klavierstücke für die Jugend, die er in der Zeit
zwischen dem 10. und 24. Juni 1935 niederschrieb. Sein Schwiegervater Paul
Thienhaus notierte dazu am 10. Juni 1935 in seinem Tagebuch:
Hugo komponiert leichte Klavierstücke (rhythmisch nach Art von Bartók)
als erstes einer größeren Sammlung für Bärenreiter.
Über diese Klavierstücke schrieb
der Komponist am 19. Februar 1936 an seine Nürnberger Jugendfreundin, die
Pianistin Ingeborg Heinsen:
Ich habe hier eine Reihe Klavierstücke für die Jugend aus einem
geplanten großen Sammelwerk in mehreren Heften, wo ich zum Schluß auch 4händige
Stücke bringen will, alles von mir Sachen. Die Stücke, ziemlich mit das neueste
von mir, finde ich besonders gut gelungen und modern in der Haltung. Wenn Du
auf der Suche nach zeitgemäßer Klaviermusik bist, würde ich sie Dir sehr empfehlen.
Dass der Rhythmiker Hugo Distler
sich bei der Komposition seiner Klavierstücke von der Rhythmik Bèla Bartóks
anregen liess, bestätigen unter anderem Waltraut Distler und Distlers Klavier- und
Orgelschülerin Franziska Bräck. Distler ließ seine Schüler in den 1930er Jahren
Stücke aus Bartóks Mikrokosmos spielen und hatte schon 1931 in einem
Zeitungsbeitrag mit dem Titel Moderne
Klaviermusik unter anderem Werke von Bartók, Hindemith, Jarnach, Toch,
Casella, Poulenc, Honegger, Milhaud und Hauer eingehend besprochen.*
In dem erwähnten Zeitungsartikel
kommt auch bereits Distlers musikpädagogisches Anliegen zum Ausdruck: sein großes Interesse an einer kindgerechten und dabei anspruchsvollen musikalischen Erziehung und Bildung - mit geeigneten Unterrichtswerken, wie
er sie beispielhaft in Bartóks Kinderliedern für Klavier vorfand:**
Nun im einzelnen: Da sind – um beim Einfachsten zu beginnen – die 4
Bände Kinderlieder des Ungarn B. Bartok (EU.), vielleicht
das vortrefflichste auf diesem Gebiet, das sich an instruktivem Wert und Gehalt
mit dem Besten der Klaviermusik der vergangenen Zeiten messen darf.
Der Musikwissenschaftler Franzpeter
Goebels schreibt über Hugo Distlers Klavierstücke: „Die seit einiger Zeit
wieder erschienenen Elf kleinen
Klavierstücke für die Jugend zeigen den „Bildner“ Distler von einer
bezaubernden Seite. Die Titel sind der kindlichen Vorstellungswelt entnommen: Kindelwiegen – Trommeln und Pfeifen – Walzer
– Hirtenmusik – Echo – Alte Spieluhr – Pankraz der Schmoller – Fanfaren – Die
Zigeuner – Perpetuum Mobile – Aria. Der Stil ist von einer unerhörten
Konzentration, einer Verdichtung in Aussage und Satz, wie wir sie etwa bei
Bartók im "Mikrokosmos“ V und VI antreffen.“***
Goebels vermutet in Distlers Elf kleinen Klavierstücken auch
biographische Momente, die sich in der Tat vor allem in dem Stück Pankraz der Schmoller finden, dessen
Titel der gleichnamigen Novelle von Gottfried Keller entnommen ist und das die
Widerborstigkeit und den Eigensinn des jugendlichen Pankraz mit musikalischen
Stilmitteln veranschaulicht.****
* Vgl. hier die Seite: Musikbesprechungen. Distler vermerkt unter dem Titel "Moderne Klaviermusik": "Im folgenden werden Edition Schott ES. und Edition Universal EU. abgekürzt." ** RECLAMS KLAVIERMUSIKFÜHRER, Band II - Von Franz Schubert bis zur Gegenwart: "Aus seiner eigenen instrumentalpädagogischen Erfahrung heraus schrieb Distler die Elf kleinen Klavierstücke für die Jugend Opus 15b [...], die bei allem eigensprachlichen Duktus stellenweise an Bartóks Mikrokosmos erinnern (z. B. in 'Trommeln und Pfeifen')." Michael Töpel S. 767 f.
*** Goebels, Franzpeter: " ... Den Alltag zu erhöhen'. Gedanken und Bemerkungen zum Klavierwerk Hugo Distlers". In: Hausmusik 23 (1959), S. 37-41. **** Kellers Werke. Hg. Max Nußberger. Bibliographisches Institut Leipzig, 1889.
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