Nacht ist es,
und, von Ängsten arg geplagt, vergrab ich mich ins nasse Kissen. Vor mir das
Lämpchen – ein Griff nur, und seine milde Flamme scheucht‘ mir die Finsternis,
die mich mit Basiliskenaugen anstarrt. Und dennoch: ich vermag es nicht. Und
ringsum wacht die Nacht ins Riesenhafte und, als Toter, lieg ich reglos.
Da – streift
nicht eine Hand mir lind die Stirn, das Auge? Ach, lass sie ruhn, Barmherziger,
wer du auch seist!
Wie lange
sie auf mir geruht – ich weiß es nimmer. Ich fühlte sie nicht mehr und schaute
auf: da war die Finsternis gewichen und wie aus offnem Grab erblickt ich über
mir das weite Firmament. Und im Zenit ein heller Stern. Und Stille gleichwie
eine Glocke über mir, von unsichtbarer Hand erschwingend und erklingend.
Indem ich
mich erhebe, ein vom Tod Auferstandener, fühl ich, wie Raum und Zeit entweichen
und mein Auge dringt weit in das Ferne und Vergangene. Und sieh – noch immer
stund der Stern am Firmament und vom Morgen sah ich drei Reiter ihre endlose Straße
ziehn.
Und meine
Brust ward wie ein tiefer Brunnen, in den die Stille sank, der helle Stern,
unirdische Musik …
Auszug
(Matth. 2, 13-15)
Man sagt ihn
tot, eh er geboren, im Mutterleib das Kind schlägt man ans Kreuz. „Und vom
Gebirge her hat man ein Geschrei gehört, viel Klagen, Weinen und Geheul; Rahel
beweinte ihre Kinder und wollte sich nicht trösten lassen …“
Und wiederum
strich eine Hand behutsam gleich der eines guten Arztes mir übers heiße Lid –
da ward der Ferne ich gewahr und Vergangenes ward mir gegenwärtig. Und noch
klingt wie Musik des Engels tröstliche Verheißung mir ins Ohr: „Steh auf und
nimm dein Kindlein, flieh nach einem fernen Land und bleib allda.“
Nach einem
fernen Land – o könnt ich mit dir ziehn, zurücklasssen würd ich deinetwegen
alles, was mich hielte, Leib, Ehr, Gut, Kind und Weib. Ein fernes Land – sag:
gibt es noch eine Freistatt, da der Erstgeborne seines Lebens froh, an deren
Tor der Cherub wacht mit bloßem, hauendem Schwert und dem Arm der Mächtigen
eine Grenze setzt?
Ich schließ
die Augen vor dem andringenden Dunkel, das mich wieder übermannen will, und vor
dem innern Blick steht voller Unschuld eine neue Schöpfung auf.
So gehe ich
verschlossenen Auges traumwach durch die Zeit, wie ein Schlafwandler. Behüte
Gott, daß keine böse Hand den Schritt mir wanken macht und mich in den Abgrund
schaudernd stößt.
Der Herr der Mitternacht (Matth. 25, 1-13)
Mitternacht
– drohend steht sie rings um mich, in mir auf. Sie ist da, die Stunde ohne
Antlitz, an der der Zeiger steckt, die Stunde, die kein Gestern kennt, kein
Morgen, da das Aug umsonst nach einem letzten trügerischen Schimmer fern
ausschaut, wo auch kein noch so zartes Frührot mir den neuen Tag verkündet,
kein erster Hahnenschrei …
Ein Wächter
in der Nacht erheb ich mich vom Lager und taste nach dem Span, der mir den
Docht entzünde. Es hilft dir nichts: steh auf, stoß auf die Tür – und daß du
mir dein Lichtlein nicht verlöschst!
Demütig neig
ich mich vor dir, du meine Flamme, die meine Hände, welche dich behutsam
treuen, karg erwärmt und in die Finsternis geleitet, und geh der Nacht getrost
entgegen.
CD-Neuerscheinung !
Johannes Hämmerle:
.“Man begnügte sich
damit, Chormusik ,nach ewigen Gesetzen’ im Stil Bachscher Choralsätze
anzufertigen oder an der Orgel klassisch-romantisches Kombinationsspiel zu
treiben. Andere Kreise wieder waren mit Entdeckerfreuden über die angeblich
allein selig machende historische Kirchenmusik so restlos erfüllt, dass auch
sie weder Zeit noch Lust hatten, sich mit einer so undankbaren Materie wie der
Musik der Gegenwartzu befassen. [. ..] So war und blieb das alles – bis Hugo Distler kam." (Helmut Bornefeld in ‚Musica’, 1947)
„Bornefelds Bemerkungen über die stockende und
widerspruchreiche Orientierungssuche der evangelischen Kirchenmusik in den
1920er und 30er Jahren charakterisieren und kritisieren das kulturelle Leben der
Weimarer Republik ganz grundsätzlich. Nach dem Niedergang der alten Staats- und
Gesellschaftsordnungen im Ersten Weltkrieg war eine Atmosphäre tiefer Ablehnung
gegenüber dem Erbe der Vätergeneration zurückgeblieben. Aufbruch und Neuanfang
waren folglich weithin von einem Gefühl der Entwurzelung begleitet, zumal die
unmittelbar vergangene Geschichte ihre identitätsspendende Kraft eingebüßt
hatte und als Quelle für neues Schaffen nicht mehr dienen konnte. Vor diesem
Hintergrund begannen viele Menschen in länger, mitunter wesentlich länger zurückliegenden
Epochen nach noch zeugungsfähigen kulturellen Wurzeln zu suchen – und schienen
fündig zu werden.
Auch ‚Alter Musik’ wurde ein Interesse zuteil, wie es in
solcher Intensität und Lebhaftigkeit vielleicht nie zuvor in der Geschichte
aufgebracht worden war. Die evangelische Kirchenmusik entdeckte insbesondere in
den Werken deutscher Komponisten vor J.S. Bach eine musikalische Sprache
wieder, die zusätzlich zu ihrer kompositorisch-handwerklichen Meisterschaft
gerade durch ihre Klarheit, Verständlichkeit und Eindringlichkeit den neu
aufkeimenden Ideen einer liturgiegerechten Kunstform ausgesprochen nahe stand
und dadurch regelrecht in den Rang überzeitlicher Gültigkeit erhoben wurde.
Längst ging es dabei nicht nur um die Pflege ‚alter’ Kunst. Vielmehr knüpfte
sich an die Wiederbelebung dieser Musik die Hoffnung, daraus unmittelbare
Anknüpfungspunkte für das Schaffen einer zeitgemäßen neuen Kirchenmusik
gewinnen zu können.
Doch wie sollte das geradezu übermächtige Vorbild älterer
Musik nicht zur bloßen Kopie oder gar zum Plagiat und damit zur Stagnation
führen? Wie sollte das Nebeneinander von Altem und Neuem nicht in einem Stil
münden, der durch und durch von Brüchen und Inkohärenzen gekennzeichnetwar? Es bedurfte eines Musikers wie Hugo
Distler, dessen gewaltiges Genie sich gerade in seiner Fähigkeit zur Synthese
und gleichzeitigen Neuschöpfung offenbart hat.Distler beherrschte und verstand die verschiedensten
Kompositionsprinzipien nicht nur, er vermochte sie auch neuartig auszuloten und
zueinander in Beziehungzu setzen und
fand auf diesem Weg zu einer völlig integren, eigenständigen musikalischen
Sprache.“