Leipziger Musikszene in der Weimarer Zeit

 






















Miklós Rózsa

Quelle: The Baton Press
Eine lebendige und liebevolle Beschreibung des Leipziger Musiklebens in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre, als auch Hugo Distler in Leipzig studierte, findet sich in der 1982 erschienenen Autobiographie Double Life des ungarisch-amerikanischen Filmkomponisten Miklós Rózsa, der früher als Hugo Distler sein Musikstudium in Leipzig begann, 1931 nach Paris ging und später in die USA emigrierte.
Mit Dankbarkeit und Hochachtung portraitiert Rózsa auch seinen damaligen Kompositionslehrer Hermann Grabner und den Thomaskantor Karl Straube, die beide kurz darauf auch zu Förderern Hugo Distlers wurden.
Einige kurze Ausschnitte aus Rózsas Erinnerungen sollen die Atmosphäre und das damalige Musikleben in Leipzig und am Konservatorium streiflichtartig beleuchten; wir dürfen annehmen, dass seine Eindrücke und Erfahrungen denen von Hugo Distler ähnelten. Rózsa schreibt, dass das relativ kleine Leipzig damals ganz und gar dominiert wurde durch die Universität und das Konservatorium:

Es wimmelte von Hochschulangehörigen und Musikern. Die großen Verlagshäuser sowohl für Literatur als auch für Musik, einschließlich Breitkopf & Härtel, waren in Leipzig angesiedelt.

 

Größte musikalische Anziehungskraft hatten, so Rózsa, die Motetten am Freitagabend und Samstagnachmittag und die Kantaten am Sonntagvormittag in der Thomaskirche:
Der Thomanerchor sang unter der Leitung von Karl Straube, der mit diesen Kindern so hingebend arbeitete wie sein Vorgänger J.S. Bach zweihundert Jahre zuvor, und sie sangen wie die Engel.

Nicht nur sämtliche Chorwerke Bachs wurden in der Leipziger Thomaskirche aufgeführt, sondern ebenso die vorbachsche Literatur von Schütz, Buxtehude, Pachelbel und anderen Komponisten; an der Orgel saß Günther Ramin:
Seine Bach- und Regerinterpretationen waren unübertroffen. Er war Schüler von Straube und wurde späterdessen Nachfolger als Thomaskantor. Hier traf sich die Leipziger Intelligentsia:Richter des Reichsgerichts (des höchsten deutschen Gerichts), Anwälte, Ärzte, Maler, Bildhauer und natürlich die ganze musikalische Bruderschaft.
 


Innenansicht des Leipziger Konservatoriums
Quelle: The Baton Press
 


Aus den Aufführungen der Thomaner zogen die Zuhörer, wie Rózsa schreibt, offenkundig so viel geistige Nahrung, dass sie davon die ganze kommende Woche zehren konnten.
Mit Sympathie und Dankbarkeit schreibt Rózsa über seinen Kompositionsunterricht bei Hermann Grabner, der wenig später auch Distlers Kompositionslehrer werden sollte:
Grabner hatte beachtliche Geduld [...] Er beurteilte jede Arbeit nach ihrem musikalischen Wert und versuchte nicht, den Schüler zu formen oder eine Kopie seines Lehrers aus ihm zu machen.
Die tolerante Art und Weise, in der Grabner - trotz eigener fester Überzeugungen - seine Schüler unterrichtete und ihre eigenständige

 


















     Karl Straube
Quelle: The Baton Press

 















     Hermann Grabner
 Quelle: The Baton Pres        
Entwicklung zuließ und förderte, unterschied sich, nach Rózsas Urteil, wesentlich von der seiner berühmten Kollegen, der Kompositionslehrer Arnold Schönberg in Berlin und Zoltán Kodály in Budapest:
Alle Schönberg-Schüler in Berlin endeten damit, dass sie Schönberg kopierten. Er [Schönberg] muß ein sehr guter Lehrer gewesen sein, aber früher oder später wurden alle seine Schüler blasse Abbilder seiner selbst, ebenso wie Kodály in Budapest versuchte, aus seinen Schülern Mini-Kodálys zu machen. Das Gegenteil war bei Grabner der Fall. Es machte für ihn keinen Unterschied, ob ein Schüler im Stil von Hindemith oder von Grieg komponierte; er beurteilte das Werk ausschließlich nach seinen technischen Komponenten, nach Form, Harmonie, Kontrapunkt und Rhythmus. Deshalb [...] war er ein idealer Lehrer.


        
 Quelle: The Baton Press                      Quelle: The Baton Press


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                  Miklós Rózsa: Double Life. The Autobiography of Miklós Rózsa
              Foreword by Antal Doráti. The Baton Press 1982, S. 21 ff.

              Barbara Distler-Harth: Hugo Distler - Lebensweg eines
              Früvollendeten.
Mainz 2008, S. 56 f., S. 62, S. 344 f.

 

 

 

 

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