Neuester Orbis Pictus oder Schauplatz der Natur und Kunst.
Zur belehrenden und erheiternden Unterhaltung für Jung und Alt.
Deutsche Jugendzeitung. Meissen 1843. ©
Amélie Ziersch
Walter
Benjamin
über Kinder und Bilderbücher
Gibt man vier oder fünf bestimmte Worte an und läßt sie schnell zu einem kurzen Satz zusammenfügen, so wird die erstaunlichste Prosa zum Vorschein kommen: nicht Aussicht, sondern Wegweiser ins Kinderbuch. Da werfen sich mit einem Schlag die Worte ins Kostüm und sind im Handumdrehen in Gefechte, in Liebeszenen oder Balgereien verwickelt.So schreiben, so aber lesen auch die
Kinder ihre Texte. Und es gibt seltene, passionierte ABC-Bücher, welche
in Bildern ein verwandtes Spiel treiben. Da findet man z.B. auf der
Tafel A ein Stilleben aufgetürmt, das sehr rätselhaft wirkt bis man
dahinter kommt, daß hier Aal, ABC-Buch, Adler, Apfel, Affe, Amboß,
Ampel, Anker, Armbrust, Arznei, Ast, Aster, Axt sich versammelt haben.
Solche Bilder kennen Kinder wie ihre Tasche, sie haben sie genau so durchwühlt und das Innerste zu äußerst gekehrt, ohne das kleinste Fetzchen oder Fädchen zu vergessen. Und wenn im kolorierten Kupferstich die Phantasie des Kindes träumerisch in sich selber versinkt, führt der schwarz-weiße Holzschnitt, die nüchterne prosaische Abbildung, es aus sich heraus. Mit der zwingenden Aufforderung zur Beschreibung, die in dergleichen Bildern liegt, rufen sie im Kinde das Wort wach. Wie es aber diese Bilder mit Worten beschreibt, so "beschreibt" es sie in der Tat. Es bekritzelt sie. Anders als jede farbige ist ihre Fläche gleichsam nur andeutend bestellt und einer gewissen Verdichtung fähig. So dichtet das Kind in sie hinein. Es lernt an ihnen zugleich mit der Sprache die Schrift: Hieroglyphik. In deren Zeichen gibt man heute noch den ersten Fibelworten das Linienbild der Dinge, welche sie bedeuten, mit: Ei, Hut. Der echte Wert solch schlichter graphischer Kinderbücher liegt also weit ab von der stumpfen Drastik, um derentwegen die rationalistische Pädagogik sie empfahl. Zitiert aus: Walter Benjamin, "Aussichten", Illustrierte Aufsätze, Frankfurt 1977. In: "Bilderbuch - Begleiter der Kindheit", Herausgegeben von © Amélie Ziersch. *****
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*Erinnerungen von Kurt Schwitters und Sophie Küppers
Kurt Schwitters: "Der Hahnepeter ist
in der Kinderstube entstanden. Er ist und bleibt eine der
liebenswürdigsten Erinnerungen aus den zwanziger Jahren, ganz ohne
Bitterkeit. Sophie Küppers: „Kurt diktierte die Geschichte in einem Zuge gleich ins Reine, in meine Schreibmaschine hinein, unter Zurufen der Kinder, denen er die Geschichte sowieso erzählen wollte. Ich musste die Figuren mit Federhalter und Tinte gleich ‚aufschreiben’, wie die Kinder sagten. Ernst Schwitters wußte genau, dass Hahnemann [Hahnepeters Vater] eigentlich er selbst war, Ernstlemann alias Ernst Lehmann. Er fühlte sich wichtig und machte kluge Bemerkungen. Wir Erwachsenen waren viel kindischer.“
** Das Wort MERZ hatte Schwitters in eine seiner Collagen eingefügt. Es handelt sich dabei um einen Ausschnitt aus dem Schriftzug „Kommerz- und Privatbank“. |
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Juli 2013