Fußball – Fernsehen – Politik
und das mißachtete Grundrecht auf Informationsfreiheit
- Eine Rückblende –

  
Sechs Ja-Stimmen, vier Enthaltungen: Am 8. März 2001 haben die zehn ARD-Intendanten, offenbar nach schwerwiegenden Bedenken innerhalb ihres Gremiums, rundfunkfremden Interessen nachgegeben - oder nachgeben müssen. Sie haben entschieden, zusammen mit dem ZDF rund 250 Millionen Mark aus unseren Fernsehgebühren zu bezahlen für 25 Spiele der Fußball-WM 2002. Empfänger der Geldüberweisung ist der Übertragungsrechte-Besitzer Leo Kirch. Wie bekannt, hatten die Sender den Medienhändler zunächst einmal "auflaufen" lassen mit seinen unersättlichen Geldforderungen. 

 Die gebührenzahlenden Fußballfreunde selbst wurden  - wieder einmal - nicht lange nach ihrer Meinung zu alledem gefragt (und die übrigen Gebührenzahler sowieso nicht). Sondern die Mediengewaltigen agierten wie gewohnt über ihre Köpfe hinweg - im rechten Moment geeint durch politische Intervention des CSU-Medienministers Erwin Huber sowie des Bundeskanzlers. Mit von der Partie waren die SPD-Ministerpräsidenten Wolfgang Clement (früher Medienminister in NRW) und Kurt Beck (neben Edmund Stoiber einer der einflußreichsten Kontrolleure des ZDF und derzeit Wahlkämpfer in Rheinland-Pfalz, außerdem Chef der Länder-Rundfunkkommission). 

Wie erfreulich - könnte man sagen – diese Stimmen der Vernunft und der Gerechtigkeit aus der Regierungszentrale der CSU und einigen Machtzentren der SPD - und beeindruckend die blitzschnell entstandene "Entente cordiale" in Sachen WM zwischen sonst erbitterten politischen Gegnern! In Wirklichkeit ist das Ganze nichts anderes als die x-te Variation eines Medien-Machtspiels mit verteilten Rollen innerhalb eines eisern festgefügten Systems, und selbst dessen ernsthafteste Kritiker scheinen bis jetzt an den Grenzen dieses Systems eher suchend dahizuwandern, anstatt kühn über sie hinauszugehen. 

In dem fraglichen Medienmachtspiel haben - dank entsprechend konstruierter Rundfunkgesetze - führende Parteipolitiker stets die Oberhand -  unter anderem aufgrund ihrer Machtposition in den Kontrollorganen der öffentlich-rechtlichen Sender. Fritz Raff, Intendant des Saarländischen Rundfunks, spielte darauf an in der SZ vom 9. März: Die Politik habe bei der Diskussion um die Übertragungsrechte "sehr populistisch" agiert und einen Zeitdruck erzeugt, der "völlig unangemessen" war. Die Politik habe "suggeriert, der hohe Preis für die WM sei in Ordnung". Und gestützt auf diese Argumentation überlegt die ARD bereits, die horrenden Kosten für Sportübertragungen geltend zu machen bei der nächsten Gebühren-Erhöhung (die nach bisherigem Rundfunkrecht den Landtagen obliegt, also faktisch den Mehrheitsparteien in den Bundesländern).

Immer mehr Bürger - und renommierte Zeitungen - kritisieren, daß die Intendanten nicht einfach standhaft bei ihrem Nein geblieben sind. So kommentierte z.B. die Süddeutsche Zeitung am 8. März: " (...) ARD und ZDF hätten eigentlich Besseres zu tun, als Wucherpreise zu zahlen und so die Kommerzialisierung des Fußballs und des Fernsehens zu beschleunigen. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten sind der Rundfunkfreiheit verpflichtet. Eine unabhängige und kritische Berichterstattung auch über die Welt des Sports beinhaltet nicht, Großereignisse wie die Weltmeisterschaften zu übertragen, koste es, was es wolle. Hätten die Anstalten Nein gesagt, dann wäre das die beinahe einmalige Chance gewesen, daß alle Beteiligten eines Tages zur wirtschaftlichen Vernunft zurückkehren und der Sport wieder etwas mehr in den Mittelpunkt rückt. So aber erübrigt sich der Protest in den Stadien gegen Spieltermine am späten Abend, die es gerade den Jugendlichen unmöglich machen, auf der Tribüne zu sitzen; die aber nun einmal vom Fernsehen diktiert werden. Jetzt werden die Vereine und Verbände weiter versuchen, jede Mark aus dem Fernsehen herauszupressen, allen Beteuerungen zum Trotz, man wolle wieder mehr an die Anhänger im Stadion denken. (...) Verloren haben die Zuschauer in den Stadien und vor dem Fernseher. Sie werden für dumm verkauft und müssen dafür auch noch bezahlen."

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Wenn jedoch wir selbst - die gebührenzahlenden Bürger - dieses Medienmachtspiel über unsere Köpfe hinweg und auf unsere Kosten nicht länger tolerieren wollen - wenn wir den bejammernswerten Zustand unseres heutigen Fernsehsystems nicht länger hinnehmen, sondern dem Verhältnis von Fernsehen und Gesellschaft eine neue, menschengerechte Verfassung geben wollen, dann sollten wir zunächst die Geschichte dieses Verhältnisses genauer betrachten. Es folgt deshalb hier eine historische Momentaufnahme: ein kurzer Bericht über einen wesentlichen Abschnitt dieser Geschichte, gesehen mit den Augen eines kritischen Fernsehzuschauers im Jahre 1998:

Am 3. Juli 1996 findet ein epochaler Handel statt: Der Münchner Medienunternehmer Leo Kirch zahlt dem Weltfußballverband 3,4 Milliarden Mark und erwirbt dafür das exklusive Recht, die Fußballweltmeisterschaften 2002 und 2006 weltweit (außer in den USA) zu übertragen und zu vermarkten. Zielscheibe der gigantischen Transaktion sind die Fußballfreunde in aller Welt, denn Kirch benutzt ganz unverhohlen die "Ware" Fußballweltmeisterschaften als zugkräftigen Köder für neue Abonnenten seiner teuren Pay-TV-Sender. Wer künftig – im Sendebereich Bundesrepublik – herausragende Sportereignisse wie die hier genannten ungekürzt und live mitverfolgen möchte, soll dafür schon bald extra bezahlen müssen. Und wer das nicht kann oder will, soll fortan als "Zuschauer zweiter Klasse" im neuerdings so genannten Free TV – also den werbeblock-durchsetzten Kommerzsendern und dem öffentlichen Fernsehen – mit dem vorliebnehmen, was über Pay-TV nicht gewinnbringend genug vermarktet werden kann.

Auf der Strecke blieben bei diesem folgenschweren Kampf um Fernseh-Übertragungsrechte die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die in der Europäischen Rundfunkunion EBU zusammengeschlossen sind und diesmal im Rennen um die WM-Übertragungsrechte nicht mehr bis zuletzt mithalten konnten. Auch sie drohen damit zu "Drittverwertungsanstalten" zu werden, wie der Deutsche Journalistenverband warnend feststellte.

Und mit ihnen auf der Strecke blieb auch das gesamte Fernsehpublikum. Denn wenn es nach dem Willen der mächtigen Hauptakteure auf dem Operationsfeld Kommerzfernsehen geht, dann werden die Bürger fortan ausnahmslos – je nach Größe ihres Geldbeutels – "wählen" müssen, ob sie "oben" oder "unten" angesiedelt sein wollen in unserer heraufdämmernden Medien-Zweiklassengesellschaft.

Auf der Strecke blieb schließlich auch unser Grundrecht auf Informationsfreiheit, denn Art. 5 Abs. 1 Satz 1 unserer Verfassung garantiert das Recht eines jeden, sich aus "allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten". In dem fraglichen Projekt ist dieses Grundrecht nicht mehr für jedermann gewährleistet.

Wenn also der erwähnte Milliarden-Handel ungehindert zustande kommen konnte, dann besagt das im Grunde genommen nur, dass in unserer "Informationsgesellschaft" eine neue Rangordnung der Rechte mit aller Macht durchgesetzt werden soll. Denn ausgerechnet auf dem hochsensiblen Feld elektronischer Massenkommunikation wurde innerhalb eines einzigen Jahrzehnts das Recht, zu kaufen und zu verkaufen – gleich, worum es sich handelt, gleich um welchen Preis – zu einem quasi "geheiligten" Recht stilisiert. So allesbeherrschend ist heute dieses rücksichtslos behauptete und schrankenlos missbrauchte Eigentumsrecht, dass das essentielle demokratie-schützende Grundrecht der Bürger auf Informationsfreiheit ihm ohne alle Bedenken geopfert wird, wenn vonseiten einer Handvoll marktbeherrschender Unternehmer "Bedarf" hierfür besteht.

Und wann immer die Unterwerfung des besagten Grundrechts unter massive Medien-Kapitalinteressen besonders scharf und klar hervortritt, können wir sicher sein, von führenden Medienpolitikern feurige Bekenntnisse zu eben diesem Grundrecht zu hören. Aber solche Bekundungen geraten zu wenig überzeugenden rhetorischen Übungen, wenn sie von Politikern kommen, die selbst die gesetzliche Grundlage für das bestehende Missverhältnis geschaffen haben und – weit davon entfernt, den eklatanten Mißstand durch weisere Gesetze aufzuheben – diese anstößige Gesetzesgrundlage auch noch mit allen Mitteln zu verbreitern suchen.

Daß es sich so verhält, demonstrierte der bayerische Regierungschef Edmund Stoiber am 10. Juli 1996 in einem längeren Interview mit der Süddeutschen Zeitung, in welchem er zunächst – ganz Demokrat – energisch für die Informationsfreiheit der Bürger eintrat: "Es muss jetzt von der Politik nach Wegen gesucht werden, dass alle Fußballfans die Weltmeisterschaften sehen können."

Die Sache hatte aber einen Haken. Denn um das Grundrecht auf Informationsfreiheit des einzelnen Bürgers praktisch zu sichern, hätten die verantwortlichen Politiker die singuläre Vermarktungs- und Sendefreiheit jenes mächtigen Groß-Einkäufers rigoros einschränken müssen, der eine Unsumme Geldes hingab an einen verzehrenden Traum: die Phantasmagorie eines eigenen Medienmacht-Monopols. Und unter diesem maßlosen Herrschaftsanspruch – im unwiderstehlichen Sog wachsender Medienmacht mit ihren unerhörten Möglichkeiten der Massenbeeinflussung – war der Medienpolitiker Stoiber zwar "theoretisch" (und vielleicht sogar mit einiger Sympathie) auf der Seite der Bürger, praktisch aber hatte er sich längst der anderen Seite verschrieben, wo allein die Medienmächtigen das Sagen haben.

Verschrieben mit Brief und Siegel. Denn genau zwei Tage nach Kirchs Milliarden-Transaktion einigte Stoiber sich in Bonn mit den Ministerpräsidenten der übrigen Bundesländer darauf, den bestehenden Rundfunkstaatsvertrag zwischen den Bundesländern so zu ändern, dass (laut SPIEGEL und SZ) "die beiden (fast) konkurrenzlosen TV-Giganten Kirch und Bertelsmann das Milliardengeschäft Fernsehen nun legal unter sich aufteilen können". Und: "Vor allem Bayerns Regierungschef Edmund Stoiber setzte sich bei den Beratungen vehement dafür ein, den Konzernen eine weitere Expansion zu ermöglichen." Faktisch wurden durch die Novellierung des Rundfunkstaatsvertrags am 5. Juli 1996 die Antikonzentrationsgrenzen für die großen Medienkonzerne abgeschafft, während die bürger-verpflichteten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ARD und ZDF um ihre Existenz über das Jahr 2000 hinaus bangen müssen – ein groteskes Missverhältnis, das die demokratische Gesellschaft nicht gleichgültig lassen kann

Stoiber begründete sein politisches Vorgehen in dem schon erwähnten Interview: "Zusehends macht sich die Einsicht breit, dass man die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen in diesem wichtigen Zukunftsmarkt stärken muss." Wessen "Einsicht" aber ist da eigentlich gemeint, und wie läßt sich die fieberhafte Hektik erklären, womit sie politischerseits "umgesetzt" wird – als angebliches Ergebnis ökonomischer Weitsicht und Vernunft?

Jene Medienkonzerne, die Stoiber leichten Sinnes als "unsere" Unternehmen bezeichnete, gehen bekanntlich in Wirklichkeit mit atemberaubendem Tempo immer weniger durchschaubare, enge Verflechtungen ein – sowohl untereinander als auch, über alle Grenzen hinweg, mit mächtigen Konzernen rund um den Globus. So gab Kirch am 8. Juli 1996 (also ganz fünf Tage nach seiner WM-Transaktion) eine umfassende Partnerschaft mit dem australischen Medienunternehmer Rupert Murdoch bekannt. Murdoch besitzt Zeitungen wie "Times" und "New York Post" und versorgt über TV-Satelliten ganze Kontinente mit Fernsehprogrammen.

Neben Murdoch ist vor allem der italienische Medienzar und zeitweilige italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi einer der einflussreichsten Partner Leo Kirchs – so im Deutschen Sportfernsehen und beim italienischen Pay-TV Telepiú. Wegen des massiven öffentlichen Vorwurfs, Politik und eigene Geschäftsinteressen in unzulässiger Weise verquickt zu haben, verkaufte Berlusconi 1995 Anteile seines gigantischen Medienunternehmens Mediaset an seinen alten Geschäftsfreund Leo Kirch sowie an den südafrikanischen Tabak- und Luxuswarenkönig Johann Rupert und den saudiarabischen Prinzen Al Walid. Romano Prodi – renommierter Wirtschaftsprofessor und seit den Parlamentswahlen vom April 1996 bis Oktober 1998 italienischer Ministerpräsident – kommentierte diese Unternehmung allerdings mit dem lapidaren Satz: "Die Umstrukturierung löst nicht den Interessenskonflikt zwischen politischer Macht und medialem Einfluss."

Zurück nach Deutschland, zurück in die Gegenwart. Leo Kirch beschloss, seine WM-Rechte ans öffentlich-rechtliche Fernsehen zu verhökern, weil er inzwischen feststellte, dass sie als Köder für seine teuren Pay-TV-Sender nichts taugen. "Medienwelt – Die achte Plage", formulierte kürzlich ein geistreicher Kopf. Aber diese Plage wurde uns nicht von einem zürnenden Gott und nicht von einem blinden Schicksal auferlegt, sondern sie wurde – ebenso wie der BSE-Skandal – verschuldet von Politikern, die bei ihrer Amtseinführung geschworen hatten, Schaden vom Volk abzuwenden.

März 2001    FORUM BÜRGERFERNSEHEN


 
Quellen u.a.:
DER SPIEGEL Nr. 29 /1996
Süddeutsche Zeitung v. 10.7.1996
Süddeutsche Zeitung v. 22.8.1996

Die ursprüngliche Fassung dieses Beitrags wurde von RADIO LORA MÜNCHEN (92,4) am 26.2.2001 gesendet.


 
 
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