Zuschauer verweigern den Tribut:
Abschied vom Quotenfußball


"Brot und Spiele": Schon im alten Rom waren Gladiatoren-Schaukämpfe ein erprobtes Ablenkungs- und Betäubungsinstrument zur Ruhigstellung der Massen: ihr Zorn über eigene Unterdrückung und Unfreiheit, ihr Ingrimm über egoistische, machtbesessene Herrscher - all das wurde mit Hilfe "massenattraktiver Spiele" elegant umgelenkt auf die Kämpfer in der Zirkusarena. Sieg oder Niederlage: auf Niederlage stand Hohn, Schmach und Tod, und mit dem Sieger identifizierten sich triumphierend die zur Massenhysterie aufgeputschten Zuschauer im Kolosseum.

Im Jahr 1987 erschufen sich westdeutsche Medienpolitiker eine neue faszinierende Zirkusarena zur politischen Ruhigstellung der Massen, indem sie das Kommerzfernsehen US-amerikanischen Zuschnitts quasi über Nacht etablierten und hierzulande "salonfähig" machten - als quasi gleichrangiges Fernsehsystem neben den bewährten öffentlich-rechtlichen Sendern.

Einer der Hauptprofiteure des neuen dualen Fernsehsystems war von Beginn an der Medienhändler Leo Kirch; für ihn und seine wenigen privaten Konkurrenten wurden von der Politik immer neue rote Teppiche ausgerollt, die Rundfunkgesetze immer stärker liberalisiert. 1996 wurden, vor allem auf Betreiben des Bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, die Antikonzentrationsgrenzen für große Medienkonzerne de facto abgeschafft.

Und je mehr im neuen System der Fußball zur Hauptattraktion breiter Zuschauerschichten hochstilisiert wurde, desto mehr wurden auch die Präsidenten der großen Fußballclubs und der nationalen und internationalen Fußballverbände zu Hauptprofiteuren des Systems. Fußball war endgültig zur Ware Fußball degradiert worden, zur Droge Fußball - und damit zu einer, wie man glaubte, schlechthin unerschöpflichen Geldquelle für die involvierten Interessengruppen.

Bei der Aufstellung dieser kaltblütigen Rechnung setzten Medienpolitiker, Fußballpräsidenten und Medienkonzerne letztlich auf die gleichen massenpsychologischen Mechanismen, auf welche schon dekadente römische Imperatoren schlau gesetzt hatten. Und als Folge dieser zynischen Einstellung konnte man in den letzten Jahren denn auch die geradezu erotisch schillernden Dreiecksbeziehungen zwischen Repräsentanten des Fußballs, des Fernsehens und der Politik immer neu bewundern bei ihren oft geradezu schamlos anmutenden gegenseitigen Gunst- und Liebesbeweisen via Fernsehen, inszeniert für ein, wie man glaubte, restlos unkritisches und passives Fernsehpublikum.

Leider ist diese Rechnung nicht aufgegangen. Dennn die Fußballfreunde in Deutschland waren in den letzten Monaten auch aufmerksame Zeugen des beharrlichen und mühseligen Ringens öffentlicher Sender um Mindestrechte zur Übertragung wichtiger Fußballspiele in Rundfunk und Fernsehen gegenüber ihrem mächtigen - weil politisch protegierten - Kontrahenten Leo Kirch.

Der Intendant des Westdeutschen Rundfunks und ARD-Vorsitzende Fritz Pleitgen und einige seiner Kollegen konnten dabei überzeugend darlegen, daß es - in Art. 5 Grundgesetz - ein verbrieftes Grundrecht der Bürger auf Informationsfreiheit gibt, und daß sie somit auch ein unveräußerliches Recht auf ungehinderten Zugang via Fernsehen haben zu wichtigen nationalen und internationalen Fußballereignissen. (Ungehinderter Zugang heißt: ein Fußballspiel nicht nur auszugsweise für wenige Minuten - mit den sogenannten Highlights - ansehen zu können, sondern jeweils in seiner vollen Länge.)

Das Grundrecht auf Informationsfreiheit wurde im letzten Jahrzehnt zugunsten einiger weniger Medienunternehmer, insbesondere zugunsten Leo Kirchs, durch eine radikal einseitige Mediengesetzgebung ungeniert mit Füßen getreten und bis zur fast völligen Unwirksamkeit eingeschränkt. Die Bürger aber haben diesen Zusammenhang in den letzten Monaten mehr und mehr durchschaut und zugleich ihre eigene beschämende Objektrolle in dem fatalen "Spiel ohne Grenzen" erkannt, das die Strategen des Kommerzfernsehens über Jahre für sie inszeniert haben. Die fußballinteressierten Zuschauer haben erkannt, daß Kirch die "Ware Fußball" einzig und allein als Köder für sie eingesetzt hat, um sie selbst zur wohlfeilen Waren zu machen, nämlich zur täglich neu errechneten Einschaltquoten-Ware für die an hohen Quoten stets dringend interessierten Gruppen.

Ein diensteifriger Medienwissenschaftler behauptete vor einigen Jahren allen Ernstes, daß die Freude der Zuschauer am Fußball im Fernsehen "Ausdruck ihrer Freude an der Bewegung sei". Wie es scheint, wurde damals - wie im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern - gegen diese groteske "Wissenschaftserkenntnis" kein öffentlicher Widerspruch eingelegt.

Widerspruch gegen den Quotenfußball aber kommt nun mehr und mehr von den Fußballfreunden selbst. Sie spielen einfach nicht mehr mit im Fußball-Milliardenpoker und emanzipieren sich lächelnd mehr und mehr von den Zumutungen des kommerzialisierten Sportfernsehens und seiner Profiteure.

Gesendet von RADIO LORA MÜNCHEN (92,4) am 27. August 2001
 

August 2001 FORUM BÜRGERFERNSEHEN

 

 

 

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