Waltraut Distler: Interview über Hugo Distler im Hess. Rundfunk
In einer Hugo Distler gewidmeten Sendung des Hessischen Rundfunks vom 25.12.1989 berichtete Waltraut Distler dem damaligen Leiter der Kulturabteilung, Dr. Karl Corino, über einige Stationen im Leben ihres Mannes. Dazu gehörte u.a. die kleine Episode des gemeinsame Besuchs von Paul Hindemiths Oper "Mathis der Maler", die vor 75 Jahren in Zürich uraufgeführt wurde. Der folgende Sendeausschnitt umfasst die Zeit zwischen 1935 und 1938.
Waltraut Distler: „ ... Das [Cembalokonzert] kam 1936 heraus. Das hatte
er 1935/36 geschrieben und es wurde in Hamburg uraufgeführt und dann in Lübeck,
und die Presse, die war also sehr scharf und es wäre entartete Musik und
das war nahe daran, ihm sehr zu schaden. Vor allen Dingen wurde er nun weiter
beobachtet und in verschiedener Hinsicht
also sehr scharf kritisiert. Er hat da zum Beispiel Motetten geschrieben, die
eine hat den Titel „Wach auf, du deutsches Reich.“ Das ist eine
Reformationsmotette, aber der Anfang des Chorals ist nicht „Wach auf, du
deutsches Reich“, aber er hat es als Überschrift genommen. Und das wurde also
in allen Variationen eben also als bösartig hingestellt und feindlich.“
Karl Corino: „Wirkte sich eine solche öffentliche Umstrittenheit
eigentlich auch aufs Privatleben Distlers aus?“
Waltraut Distler: „Im Familienkreis war das etwas schwierig, weil mein
Vater eben sehr für - also positiv [zum NS-Staat] gestanden hatte. Aber das war eben so, daß
wir im Jahr 1935 in mein Elternhaus zurückgezogen waren, weil unsere erste
Wohnung an der Jakobikirche sehr ungesund gewesen war und mein Vater hatte das
Haus – es war ein sehr großes Haus – in zwei Wohnungen geteilt, und er war
oben, und da war auch noch mein jüngster Bruder zu Hause und der war in der HJ.
Und da hat es schon Gespräche gegeben und Auseinandersetzungen gegeben, also
mehr zwischen meinem Vater und meinem Mann und zwischen meinem Bruder und
meinem Mann.
Und eines Tages hatte mein Mann ein Radio angeschafft,
vorher hatten wir keins, um Musik aus dem Ausland zu hören. Das war sein
Wunsch. Denn man war ja völlig abgeschnitten von allem, was nun sonst eben
komponiert war, zum Beispiel Hindemith, den er sehr verehrt hat.
Und nun war es so, daß dann aber mein Vater bestimmte, daß
wenn politische Reden gehalten wurden, daß dann das ganze Haus sich zu uns vors
Radio gesetzt hatte und die Reden alle hörten. Und da hatten wir dann
also sehr schnell den Apparat wieder abgeschafft, denn das lag uns nun
wieder völlig fern, und dazu hatten wir also nun wirklich keinen Wunsch, keine
Neigung.
Aber an so Kleinigkeiten kann ich mich noch erinnern: Wenn
er zum Beispiel durch die Stadt gelaufen ist oder irgendwie spazieren gegangen
ist, kam irgend so ein Trupp mit HJ oder Partei oder SA und da mußte man ja
damals – das weiß man heute auch nicht mehr so - wer solch einem Trupp mit einer Fahne
begegnete, mußte ja die Hand heben und „Heil Hitler“ – nicht schreien, aber
doch eben die Hand heben. Dann ist er immer in irgend einem Hauseingang
verschwunden oder in einer Nebengasse, um den Leuten auszuweichen.
Und später haben wir noch – eigentlich war das ein bisschen
leichtfertig wirklich gewesen – als wir in Stuttgart waren, da, wenn da solche
politischen Reden gehalten wurden, da waren ja die Straßen leergefegt. Und dann
sind wir spazieren gegangen und ganz vergnügt und haben uns gefreut über die
schönen Spaziergänge, die wir machen konnten und haben dann nur so hin und
wieder aus dem Fenster das Gebrüll gehört.
Man muß ja daran denken, daß damals alles gleichgeschaltet
war, die Presse war gleichgeschaltet, man erfuhr ja nichts anderes als das, was
aus dieser Nazipresse herauskam.“
Karl Corino: „Die Zensur beschnitt natürlich auch die Kultur. Was hat
ein interessierter Musiker wie Hugo Distler eigentlich von den Entwicklungen
der Neuen Musik seinerzeit mitbekommen können?“
Waltraut Distler: „Wir hatten in Lübeck vor 33 den [Verein] für Neue
Musik, den leitete ein Dr. von Borries. Und dieser Borries, der war befreundet
mit dem Verlag Schott, mit dem damaligen Besitzer Strecker. Und über den Verlag
Schott auch ein persönliches Verhältnis zu Hindemith. Und bis 33 war auch
Hindemith öfters noch in Lübeck gewesen, er hatte selber gespielt oder wir
waren zum Beispiel mal zu einem ganzen Hindemith-Konzert nach Schwerin gefahren
mit Freunden zusammen. Und dann nach 33 hatte mein Mann über den Dr. von Borries zumindest einige Noten
bekommen durch den Schott-Verlag. Der hat immer weiter gedruckt
zumindest von solchen Leuten. Aber andere Komponisten – an wen soll ich denn da
denken – Schönberg oder – hatten wir keine Ahnung. Da kam gar nichts.
Die Symphonie „Mathis der Maler“, die gab es ja
erstaunlicherweise, die hatte schon Furtwängler noch aufgeführt in Berlin. Und
die gab es als Schallplatte – ich glaube, damals schon von Grammophon – und die
hatten wir und haben sie dann also da kennengelernt. Und als wir dann in
Stuttgart waren, da sind wir, als die Oper in Zürich uraufgeführt wurde,
da sind wir mit den Freunden Kreutz in die Schweiz gefahren – nicht zur
Uraufführung selbst, aber zu einer der ersten Aufführungen. Und zwar konnte man
ja nur 10 Mark mitnehmen, man mußte da also Übernachtung, Eintritt und – na ja,
Verpflegung, da konnte man schon mal hungern einen Tag – bezahlen mit diesen 10
Mark. Das war ein bisschen schwierig. Und die Freunde, die konnten bei
Verwandten übernachten, aber wir hatten dann ganz weit außerhalb von Zürich uns
ein Quartier gesucht, ein billiges Quartier, und waren dann mit der Straßenbahn
heruntergefahren. Und erst einmal wurde also diese Oper gegeben; die Aufführung
selber war, nach unserem damaligen Dafürhalten, die Inszenierung nicht so
hervorragend gut, aber weil es nun einmal etwas so ganz Neues war, war man doch
sehr begeistert.
Und wir saßen also auf dem obersten Rang und hatten kaum
gewagt, zu klatschen, weil man überall Spitzel und Spione vermutete. Und dann
haben wir runtergeschaut in der Pause, und da saß Furtwängler im ersten Rang
und klatschte mächtig und daraufhin haben wir uns dann auch, wir Feiglinge,
getraut.
Aber dann war das Schöne – oder nicht so sehr Schöne – nach
der Oper, die ja nach 10 Uhr zuende war, da ging keine Straßenbahn mehr. Und es
goß in Strömen. Wir waren also – es war im Sommer gewesen – wir waren also ohne
Mantel, ohne alles mit der Straßenbahn gefahren, um eben auch schon
Garderobe[n-Gebühr] zu sparen, und nun standen wir da, mussten noch mal raus in
unser Quartier. Und nun hatten wir gewagt, im Schuh etwas Geld mitzunehmen –
deutsches Geld. Also wir haben dann einen Taxifahrer erwischt, und der war also
bereit, das deutsche Geld zu nehmen. Und auf die Weise kamen wir dann wieder
zurück. Das war das Abenteuer Zürich." © Copyright HR
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