Alfred Hugenberg
©
Deutsches Historisches Museum
 

"Psychologie ist alles!"


Mit seinem Medienkonzern, einem Medienkonglomerat aus Verlag, Nachrichtendiensten, Werbeagenturen, Korrespondenzdiensten, Filmgesellschaften und zahlreichen Medienbeteiligungen, übte der Deutschnationale Alfred Hugenberg in der Weimarer Republik vor allem über seine Nachrichtendienste einen beherrschenden Einfluss auf die rechtsgerichtete Presse aus. Er wurde 1928 zum Führer der Deutschnationalen Volkspartei gewählt, bekämpfte die junge Weimarer Demokratie und betätigte sich später  - in Zeiten höchster Arbeitslosigkeit - als Wegbereiter der Diktatur, vor allem mit seiner Rundfunkansprache drei Tage vor der Reichstagswahl am 31. Juli 1932:

28. Juli 1932  

Ich spreche aus dem deutschen Osten, aus der von Deutschland durch willkürliche Grenzen getrennten, in ihrem Deutschtum bedrohten Provinz Ostpreußen. Damit will ich sagen, ganz Deutschland muß an seiner Ostgrenze Wacht halten und für die Wiederherstellung des deutschen Lebensraumes sorgen. Der Rundfunk ist endlich von dem Mißbrauch befreit, den die bisherigen Machthaber durch seine Auslieferung an die schwarz-roten Systemparteien mit ihm trieben. Er gibt mir heute Gelegenheit, zu einem Kreise von deutschen Menschen zu sprechen, die ich bisher nicht erreichen konnte und die von der Deutschnationalen Volkspartei und ihren Zielen nur diejenige Vorstellung haben, die ihnen gegnerische Stimmen vermittelten. Diese Vorstellung ist, insbesondere für mich, nicht immer sehr schmeichelhaft: der Sozialreaktionär, der fünfzigfache Millionär, der sture Bock. [...] Sie alle wissen aus eigenem Erleben, aus eigener Not, wie, entsprechend unserer Voraussage, die von uns bekämpften Tributzahlungen in Verbindung mit unsinnigen marxistischen Experimenten eine Existenz nach der anderen zerstört und Arbeitslosigkeit rings in Deutschland ausgebreitet haben.

[...] Das parlamentarische System hat vollständig versagt. Ebenso das System, das alles von Berlin aus regieren will, das die Verantwortlichkeit der Gemeinden ausschaltete und damit den finanziellen Bankrott unserer Selbstverwaltung herbeiführte. Wir wünschen nicht, daß der schwarz-rote Parteistaat durch einen anderen Parteistaat abgelöst wird, auch nicht, durch einen deutschnationalen oder nationalsozialistischen Parteistaat. [...] Die sicherste Gewähr für einen sauberen, starken und gerechten Staat liegt nach den Lehren unserer Geschichte im deutschen Kaisergedanken. Der gesunde Staat wird eine gesunde Wirtschaft haben. Gesunde Wirtschaft bedeutet heute vor allem Beseitigung der Arbeitslosigkeit. Derjenige ist wirklich und wahrhaft sozial, der Arbeit schafft. Es gibt ewige Wirtschaftsgesetze, die kein Volk ungestraft verletzen darf. Das haben die sozialistischen Machthaber in Deutschland außer Acht gelassen. Sozialismus ist Erwerbslosigkeit. [...]

Das A und 0 des Augenblicks ist die Tatsache, daß dank der nationalen Bewegung die moralischen Kräfte wieder aufgestanden sind, die über Krieg, Revolution und Bonzentum hinweg, aus den Trümmern von heute das Reich von morgen schaffen wollen. [...] Der Staat darf keine Gottlosen erziehen und darf den Wehrwillen des Volkes nicht untergraben lassen. Was die Mutter dem Kinde mitgibt an Glauben, an Idealismus, an Opferbereitschaft und Willen zur Unterordnung muß von der Schule gepflegt und von der Kirche gefördert werden. [...] Die Jugend verlangt Führung und Zucht. Sie verlangt von den Führern aber auch den Mut zur Führung. Wir glauben an Deutschland und seine Zukunft. [...] Die gesunden auf nationaler und konservativer Grundlage stehenden Kräfte, die in der Deutschnationalen Volkspartei vereinigt sind, bieten die beste Gewähr für einen auf Arbeit und Sachkenntnis beruhenden Wiederaufbau des deutschen Staates und der deutschen Wirtschaft. Daher richte ich zum Schluß an sie, die sie mir zugehört haben, die Mahnung: Wer nicht sozialistisch denkt, wählt deutschnational.

Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv, Frankfurt am Main


Zusatz der Redaktion "Forum Bürgerfernsehen":
Mit seinem letzten Satz legte der deutschnationale Hugenberg seinen (sozialistisch empfindenden) Zuhörern einen "logischen Schluß" nahe, den er nicht mehr aussprach, sondern den er sie selber weiterdenken ließ:

..."Wer aber immer noch sozialistisch denkt, jedoch den Sozialisten nicht mehr zutraut, daß sie die Arbeitslosigkeit beseitigen, der wählt ... National-Sozialisten ...!"

Die Rechnung Hugenbergs ging auf: Die "National-Sozialistische Deutsche Arbeiterpartei" ging aus den Reichstagswahlen vom 31. Juli 1932 mit 37 % der Stimmen als die mit Abstand stärkste Partei hervor.
 

NOVEMBER 2011  FORUM BÜRGERFERNSEHEN

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Der nachfolgende Aufsatz von Eric Klinenberg erschien
in der Aprilausgabe 2004 von
LE MONDE diplomatique -  
Monatsbeilage in
die tageszeitung / WOZ DIE WOCHENZEITUNG.
Wir bedanken uns bei der Redaktion von
LE MONDE diplomatique
für die freundliche Publikations-Erlaubnis!

 

 
 
 

IM IRAKKRIEG SAHEN VIELE AMERIKANER BBC STATT CNN


Der Wunsch nach
anderen Nachrichten


Von Eric Klinenberg *

 

______________________________

 
MIT ihren unkritischen Nachrichten, die nur im Regierungssinn patriotisch
sind, haben die kommerziellen US-Medien im Irakkrieg ihre meinungsbildende
Macht bewiesen. Aber vielen Konsumenten reicht es jetzt. Eine neue
Bürgerrechtsbewegung kämpft gegen die Deregulierungspolitik der US-Behörde
FCC und die wachsende Medienkonzentration - und zugleich gegen die

Verdummung durch die großen Zeitungen, Fernseh- und Radioketten. Die
Aktivisten finden viele Verbündete, sogar im konservativen Establishment,
das freien Wettbewerb statt großer Medienkonzerne fordert.
______________________________
           

  
Sind manche US-amerikanische Medienunternehmen eine Gefährdung für die
globale Sicherheit? Die falsche oder ungenaue Berichterstattung über
internationale Themen in den US-Medien seit dem 11. September 2001
hat das
Ihre dazu beigetragen, dass die Bevölkerung den Krieg unterstützt. Nach
einer neueren Umfrage der Universität Maryland halten 60 Prozent aller
US-Bürger und 80 Prozent der regelmäßigen Zuschauer von Fox News mindestens
eine der drei folgenden Aussagen für richtig:

   1. Im Irak wurden Massenvernichtungswaffen gefunden;
   2. Es gibt nachweislich Verbindungen zwischen dem Irak und al-Qaida;
   3. Die weltweite öffentliche Meinung befürwortet den Krieg der USA im Irak.(1)

   Ein weiteres Ergebnis der Umfrage: Je mehr Nachrichten von Fox TV die
Leute sehen, umso eher sind sie bereit, einer dieser Behauptungen Glauben zu
schenken. Nach Ansicht von Jeff Chen, dem Leiter der medienkritischen
Organisation Fair (Fairness and Accuracy in Reporting) zeigt die Studie,
dass "eine Lüge am Ende als Wahrheit durchgeht, wenn sie nur groß genug ist
und oft genug wiederholt wird". So legitimieren sie die Außenpolitik von
Präsident Bush in den Augen der Menschen, die ihn bei den nächsten Wahlen
aus dem Amt jagen könnten.

  
Der Journalist John Nichols behauptet: "Wenn wir ehrliche Medien hätten,
wäre George Bush nicht Präsident und wir hätten im Irak keinen Krieg

geführt." Noch vor kurzem wäre ein solcher Satz bloße Rhetorik gewesen. Aber
2003 erfolgte der Durchbruch einer kritischen, aktiven Medienpolitik. Und
Nichols spricht - als Leiter der Bürgerrechtsorganisation Free Press - für
eine wachsende Bewegung, die sowohl die Struktur als auch die
Machtverteilung der journalistischen Landschaft in Frage stellt
. Für Bernie
Sanders, Abgeordneter des US-Repräsentantenhauses, ist heute "die Frage der
Macht der Unternehmen über die Medien erstmals in der Geschichte der USA zu

einem Politikum geworden". Sein Kollege Maurice Hinchey ist der Meinung,
eine Reform des Medienwesens sei "das wichtigste Thema, das sich derzeit für
das amerikanische Volk stellt. Dabei geht es um die Kontrolle des
öffentlichen Diskurses, also um die Grundlagen der Demokratie."

   Aber wo könnte angesichts der zehn gigantischen Unternehmen, die in den
USA das Nachrichtengeschäft mit ihren Fernsehsendern, Radiostationen und
Printprodukten dominieren, der Anstoß zu einer sinnvollen Reform des
Medienwesens herkommen?(2) Und was könnte eine Bewegung, die sich für eine
kritische und vielfältige Medienlandschaft stark macht, erreichen?

  
Zwei Ereignisse des letzten Jahres haben viele aufmerksame US-Bürger zu
Protesten herausgefordert: die unkritische Kriegsberichterstattung durch die
kommerziellen Nachrichtenanbieter und die unpopuläre Entscheidung der
Federal Communications Commission (FCC), den Mediensektor noch weiter zu
deregulieren.(3) Im November 2003 organisierte die Gruppe Free Press die
größte Konferenz zur Medienreform, die je in den USA stattgefunden hat. Zu
der dreitätigen Veranstaltung in Madison, Wisconsin, kamen 2 000 Teilnehmer,
darunter progressive Politiker und Intellektuelle wie Jesse Jackson, Bernie
Sanders, John Sweeny und Studs Terkel.(4) Vergleichbar mit den ökologischen
Vorkämpfern vor dreißig Jahren, die Umweltfragen als politisches Thema
entdeckten, versuchen diese Aktivisten nun die Medienfragen zu politisieren.

   Die FCC diktiert seit langem den Markt für Nachrichten, Unterhaltung und
Werbung in den USA. Sie setzt über komplizierte technische Regelungen ** eine
Politik durch, die so gut wie keiner kritischen öffentlichen Diskussion
unterliegt, weil die kommerziellen Nachrichtenunternehmen die für sie
geltenden Regeln wohlweislich aus den Nachrichten heraushalten. Doch dann
ging die FCC unter Leitung des neoliberalen Fundamentalisten Michael Powell,
dem Sohn von Außenminister Colin Powell, so weit, ein Gesetz zu befürworten,
das es den Großkonzernen erlaubt, ihre Marktanteile deutlich auszubauen.

  
Verbraucherorganisationen hat die FCC fast nie in ihre Arbeit einbezogen.
Und als die Mitarbeiter des Center for Public Integrity (CPI) die Protokolle
und Unterlagen der Kommission studierten, fanden sie heraus, dass ein
Großteil der Informationen für die FCC über neun Jahre alt und für die
politische Entscheidungsfindung völlig unerheblich war. Dagegen hatten in
den acht Jahren vor der wichtigen Entscheidung von 2003 die
Telekommunikations- und TV-Unternehmen, denen die FCC ja eigentlich Regeln
auferlegen soll, fast drei Millionen Dollar für mehr als 2 500 Reisen von
Kommissionsmitgliedern und -mitarbeitern bezahlt
, die dabei so relevante
Orte wie Las Vegas, Hongkong und Rio de Janeiro besuchten. Und die
Spitzenleute von TV-Unternehmen hatten sich über siebzigmal mit Vertretern
der FCC getroffen
.(5) Für die CPI-Leute und Charles Lewis, den Leiter der
Untersuchung, stand damit fest, dass die FCC die ganze Zeit "fest im Griff
der Branche" gewesen war.

   Während die FCC sich 2003 anschickte, ihre neuen Deregulierungsregeln zur
offiziellen Politik zu machen, bekam sie Briefe und E-Mails von sage und
schreibe 2 Millionen US-Bürgern, die sich fast alle gegen die vorgesehene
Deregulierungspolitik aussprachen. Zwei der fünf Kommissionsmitglieder,
Michael Copps und Jonathan Adelstein, stimmten daraufhin dafür, die
geltenden Obergrenzen für die Eigentümer von Kommunikationsunternehmen
beizubehalten. Die anderen drei, nämlich Powell, Kevin Martin - der einmal
eine hohe Position in Bushs Wahlkampfteam innehatte - und Kathleen
Abernathy - vormals leitende Managerin eines
Kommunikationstechnik-Unternehmens -, setzten sich über die Bedenken der
Öffentlichkeit hinweg.

  
Am 2. Juni 2003 verkündete die FCC ihren Beschluss, wonach es
Zeitungsbesitzern erlaubt ist, auch mehrere Fernsehsender in derselben Stadt
zu besitzen, und TV-Unternehmen das Recht haben, noch mehr Fernsehsender als
zuvor zu kaufen. Dies bedeutete in den Worten Adelsteins "die umfassendste
und folgenreichste Abschaffung von Verbraucherschutzregeln in der Geschichte

des Rundfunk- und Fernsehwesens der USA".(6) Widerspruch kam sogar von
führenden Republikanern im Kongress, die Powell und seine Deregulierung
stets unterstützt hatten. Sie zeigten sich vom Bürgerprotest beeindruckt und
änderten ihre Meinung. Trent Lott zum Beispiel, der konservative Senator von
Mississippi, hatte sich noch 1997 dafür eingesetzt, dass Powell einen Sitz
in der FCC bekommt. Doch am 6. Juni 2003 erklärte er: "Bei zu hoher
Marktkonzentration besteht zwischen den Unternehmen keine echte Konkurrenz
mehr, weder hinsichtlich der Kosten, noch was ihre Produkte anbelangt. Es
gäbe also weniger Anreize, etwas Neues, etwas anderes, vielleicht Preisgünstigeres
zu produzieren, oder auch einfach etwas, das eine andere Sichtweise bietet. Auf
manchen Märkten haben Inserenten und Kunden schon jetzt keine Alternative, sie
müssen einfach ein bestimmtes Medienunternehmen in Anspruch nehmen. Von der
 bereits eingeschränkten Wahlmöglichkeit bleibt durch die neusten Regeln der FCC
nicht mehr viel übrig. Vor allem große landesweite Druckkonzerne haben
mancherorts schon ein regelrechtes Monopol. Die Konzentration von
Medienbesitz noch weiterzutreiben mag im Interesse der Mediengiganten in New
York oder Washington sein, im Interesse der Medienkonsumenten, wie Sie und
ich es sind, wäre das nicht."(7)

   Bis September 2003 hatten sowohl das mehrheitlich republikanische
Repräsentantenhaus als auch der Senat die Entscheidung der FCC gekippt. Doch
dann drohte das Weiße Haus an, es werde gegen jede Änderung der Vorlage sein
Veto einlegen. Damit zwang es dem Kongress einen Kompromiss auf, der den
Besitzstand der News Corporation (Eigentümerin von Fox TV) und von Viacom
(der die Fernsehnetze CBS und UPN gehören) legalisierte. Beide hatten die
zulässige Obergrenze für die Medienkonzentration bereits überschritten. Das
vom Kongress schließlich verabschiedete Gesetz enthält die allgemeine
Erlaubnis zum gleichzeitigen Besitz von Presse- und TV-Unternehmen und
erlaubt darüber hinaus, dass ein Unternehmen auf einem lokalen Markt die
größten Fernsehstationen und die wichtigste Zeitung besitzen darf.(8)

  
Aber der Kampf innerhalb der FCC hat erst begonnen, und der Kongress wird
die Frage der Mediengesetzgebung demnächst neu aufrollen. Nicht dass Michael
Powell das beabsichtigt hätte, aber sein radikales Programm hat dazu
geführt, dass die Medienpolitik heute ein wichtiges politisches Thema ist
und dass die Bewerber bei den Wahlen zum Kongress wie für die
Präsidentschaft im November 2004 Farbe bekennen müssen. Nach Meinung von
Jeff Cohen, der sich seit 15 Jahren mit Medienfragen beschäftigt, hatte es
die FCC "noch nie zuvor mit einer derart geschlossenen, überzeugenden und
effektiven Kampagne zu tun"
. Für die US-Bürger sind - Senator Lott hat das
verstanden - Fernsehen, Radio und sogar die Printmedien ein wichtiges Thema,
und viele sind wütend über die schlechte Qualität und die Monotonie der
kommerziellen Programme. Der demokratische Abgeordnete Bernie Sanders
berichtet, dass in seinem Wahlkreis Veranstaltungen über Medienfragen mehr
Leute anziehen als jedes andere Thema.


   Der Telecommunikations Act von 1996 hatte den Rundfunkmarkt so grundlegend
dereguliert, dass sieben Jahre später von den ursprünglichen Eigentümern nur
noch knapp zwei Drittel übrig waren und dass ein Unternehmen (Clear Channel)
heute über 1 200 Radiostationen betreiben kann. In einigen Städten ist die
Mehrzahl der Lokalsender in den Händen ein- und desselben Unternehmens. Und
bei den lokalen TV-Sendern bestehen laut Adelstein rund 14 Prozent des
Programms aus bezahlten Informercials.(9)

  
Das Resultat solcher Medienpolitik ist eine schwache Demokratie. Das
zeigte sich deutlich in der Berichterstattung über den Irakkrieg. Die in den
Kommerzmedien vor Beginn des Krieges veröffentlichte Meinung war alles
andere als repräsentativ für die US-Bevölkerung. Denn eine Mehrheit war
gegen den Angriff auf den Irak vor Abschluss der Inspektionen und ohne
breite Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft und die Vereinten

Nationen. Dass die US-Medien kaum Berichte über zivile Opfer im Irak oder in
Afghanistan bringen, ist allgemein bekannt - "wir zählen die feindlichen
Leichen nicht", erklärte Colin Powell. Aber die großen
Nachrichtenunternehmen "bereinigen" den Krieg noch zusätzlich, indem sie
kaum Bilder drucken oder senden, die tote US-Soldaten bzw. die Überführung
der Leichen in Zinnsärgen zeigen. Außerdem berichten sie nur selten über die
Zahl der schwer verwundeten Soldaten.

   Deshalb argumentiert Amy Goodman, die beim unabhängigen Medienunternehmen
Pacifica die beliebte Radioshow "Democracy Now" moderiert: "Wenn wir in
diesem Land eine Woche lang sehen würden, was der Rest der Welt sieht - und
damit meine ich nicht nur al-Dschasira, sondern auch die Diskrepanz zwischen
CNN und CNN International(10) -, dann würden die Amerikaner diesen Krieg nicht

unterstützen. Aber der Großteil unserer Berichte mutet wie eine Werbesendung
für militärisches Gerät an. Die Medien trommeln für den Krieg. Und ihre
Lügen kosten Menschenleben." Auch John Stauber, Koautor des Buches "Weapons
of Mass Deception" und Redakteur der Website PRwatch. com, ist der Meinung:
"Das Kriegsunternehmen hätte ohne die Komplizenschaft der Medien nicht
stattfinden können."(11)

  
Deutliches Anzeichen für das wachsende Misstrauen gegenüber der
einheimischen Berichterstattung ist die Tatsache, dass bei Kriegsbeginn die
Sendungen von BBC International in den USA eine Rekordzahl von Zuschauern
anzogen. Auf der Konferenz in Madison klagte Tami Baldwin, Abgeordnete des
Repräsentantenhauses, dass sie "als Mitglied des US-Kongresses häufig die
ausländische Presse heranziehen muss, um gründliche und verlässliche
Nachrichten und Informationen zu bekommen - nicht nur über den Irak, sondern
auch zu anderen Themen".

  Jesse Jackson führte die Unterschiede, die sich beim Thema Irak in der
öffentlichen Meinung der einzelnen Länder zeigten, weitgehend auf die
unterschiedliche Berichterstattung zurück. In der Schlussdiskussion von
Madison meinte er: "Wir haben unterschätzt, was die Herrschaft über die
Medien für unseren Kampf bedeutet. Warum gab es in Europa größere
Demonstrationen gegen den Krieg? Weil die Europäer besser informiert sind.
Fox und Clear Channel veranstalten im Grunde Kriegsdemonstrationen. Unsere
Medien waren im selben Lager wie die Panzer."


 
  Zur Zeit konzentriert sich die kritische Medienbewegung auf die
vordringlichen Probleme Irak und FCC. Aber John Nichols betont: "Es reicht
nicht, die Beschlüsse der FCC rückgängig zu machen. Das bringt uns nur zum
2. Juni 2003 zurück, als wir mit subversiven Mitteln gegen ungerechte Medien
kämpften." Und Robert McChesney, Leiter von Free Press und Medienforscher,
meint ebenfalls, angesichts der schon so lange bestehenden Medienmonopole
müsse die kritische Bewegung darauf hinarbeiten, die ganze Branche zu
transformieren und die öffentliche Sphäre zu demokratisieren. Ihr erstes
Ziel ist es, die Kontrolle der Medien durch Großkonzerne zu zerschlagen.
Aber es geht auch um konkrete Ziele: mehr und garantierte öffentliche Mittel
für kommunale Rundfunk- und Fernsehsender sowie generell höhere Subventionen
für nicht kommerzielle Medien.

   Free Press und andere landesweite Organisationen wie Fair, Media Access
und Media Channel, aber auch die vielen neuen medienkritischen Initiativen
vor Ort wissen durchaus, wie viele Hindernisse vor ihnen liegen. Ihre
Aktivisten haben durch die Ereignisse des vergangenen Jahres viel Auftrieb
bekommen. Früher oder später werden sie bestimmt wieder in den Nachrichten
sein.


deutsch von Niels Kadritzke

_______________



* Professor für Soziologie an der New York University, Autor des
Sozialreports "Heat Wave: A Social Autopsy of Disaster in Chicago",
University of Chicago Press 2002.

(1) "Misperceptions, the Media and the Iraq War", ein Bericht des Program on
International Policy Attitudes and Knowledge Networks. Im Internet:
www.pipa.org/OnlineReports/Iraq/Media_10_02_03_Report.pdf. Siehe auch Harold
Meyerson, "Fact-Free News", The Washington Post National Weekly Edition, 20.
Oktober 2003.
(2) Darstellung in der Columbia Journalism Review: "Who Owns What",
www.cjr.org/tools/owners/.
(3) Siehe Eric Klinenberg, "Dix maîtres pour les médias américains", Le
Monde diplomatique, April 2003.
(4) www.mediareform.net/
(5) Die Berichte des Center for Public Integrity tragen die Titel "Behind
Closed Doors" und "On the Road Again". Einzelheiten unter
www.publicintegrity.org.
(6) www.truthout.org/docs_03/060403I.shtml
(7) Volltext unter http://lott.senate.gov/news/2000/0606.fcc.html.
(8) Dieser Hinterzimmerkompromiss wird geschildert in
www.mediareform.net/news.
(9) Wortkombination aus "information" und "commercial", also etwa
gleichbedeutend mit "Infowerbung".
(10) Die Nachrichtenprogramme von CNN International berichten deutlich
ausgewogener als die CNN-Inlandsprogramme.
(11) Siehe John Stauber und Sheldon Rampton, "Weapons of Mass Deception: The
Uses of Propaganda in Bush's War on Iraq", New York (JP Tarcher) 2003.

____________________________

** Anmerkungen der Redaktion dieser Internetseite:

- Die roten Hervorhebungen in Eric Klinenbergs Aufsatz wurden durch die Redaktion
dieser Internetseite nachträglich hinzugefügt.

- "Die FCC diktiert seit langem den Markt für Nachrichten, Unterhaltung und
Werbung in den USA. Sie setzt über komplizierte technische Regelungen ** eine
(Medien-)Politik durch, die so gut wie keiner kritischen öffentlichen Diskussion
unterliegt, weil die kommerziellen Nachrichtenunternehmen die für sie
geltenden Regeln wohlweislich aus den Nachrichten heraushalten."(LE MONDE diplomatique)

 

 

 

 

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