Psychologische Medienforschung
und ökonomisches
Interesse


Stürme zerwühlen das Meer, wenn aber keiner es aufreizt,
daß es wild sich empört, ruht es gelassen, gerecht.

Solon im 6. Jh. v. Chr.
über die Seele des Volkes und die Tyrannis



   In den fünfziger Jahren begannen amerikanische Kommunikationsforscher, Versuchspersonen unter Laborbedingungen mit Fernsehwerbung zu konfrontieren. Damit wollten sie die Publikums-Wirksamkeit des Werbefernsehens experimentell überprüfen.(1) Die Versuchsanordnungen der Psycho-Physiologen in der Medienforschung (etwa zur Messung von Pupillenvergrößerungen beim Anblick von Bildabfolgen mit eindeutiger Symbolik) entsprechen experimentellen Anordnungen, mit welchen z.B. Ratten auf bestimmte Reflexe hin untersucht werden. Untersuchungen dieser Art geht die Annahme voraus, daß seelische Vorgänge experimentell zur Anschauung gebracht werden können, weil sie (wie die Theorie besagt) nichts anderes sind als Reiz-Reaktionsmechanismen des menschlichen Organismus.

   Demgegenüber hat Thure von Uexküll (2), einer der Hauptvertreter der psychosomatischen Medizin in Deutschland, nachgewiesen, daß bereits einzellige Lebewesen nicht nur einfach auf Reize "reagieren". Vielmehr gehört es zur Eigentümlichkeit ihrer wechselseitigen Organisation, daß sie sich Zeichen geben und auf Zeichen antworten. Wenn es sich so verhält, um wieviel bedeutungsreicher und inhaltsschwerer sind dann naturgemäß die Antworten der Menschen auf die zahllosen Zeichen und Botschaften, die sie empfangen! Sind doch diese Antworten immer auch eingewebt in tief aus der Vergangenheit schöpfende und weit in die Zukunft wirkende Erinnerungs- und Entwicklungsprozesse.

   Schon der bedeutende russische Physiologe Iwan Petrowitsch Pawlow (1849 – 1936), Entdecker der "bedingten Reflexe" und damit Ahnvater der Lerntheorie, vermutete, daß psychische Erscheinungen nicht ohne weiteres mechanistisch erklärt werden können:(3)

"Könnten wir durch die Schädeldecke in das Hirn einer bewußt denkenden Person blicken, und wäre der Ort der optimalen Erregung leuchtend, dann sähen wir einen hellen Fleck mit phantastischen, flackernden Rändern über die Oberfläche des Hirns huschen, in Größe und Form ständig wechselnd und umgeben von mehr oder weniger tiefer Dunkelheit, die den Rest der Hirnhälfte bedeckte." (4)

   Die Hirnstromforschung mit Hilfe des 1928 entwickelten Elektroenzephalogramms (EEG) (5) scheint, wie Friedrich Doucet schreibt, Pawlows Annahme zu bestätigen. In seiner durch die Verleger Helmut und Nina Kindler angeregten "Geschichte der Psychologie" (6) weist Doucet darauf hin, daß das EEG für die Wissenschaften vom Menschen weitaus größere Bedeutung habe als zunächst angenommen:

"Die Entdeckungen Pawlows haben die Einsicht gebracht, daß sich für jede körperliche Funktion ein bedingter Reflex konditionieren läßt. Durch die EEG-Forschung sind die elektrischen Schaltmuster bei Lernvorgängen, Assoziationen und Gemütsbewegungen aufgedeckt worden ... Doch ebenso klar wurde erkennbar – bei aller Deutlichkeit der Korrelation zwischen physiologischen Mustern im Gehirn und persönlichkeitsbestimmenden Verhaltensmustern – daß Psychologisches nicht mit der Physiologie des Gehirns identifiziert werden kann. Weder Illusionen noch Halluzinationen, weder Wahn noch Zwangsvorstellungen und ebenso wenig sonstige Symptome der Neurosen wie der endogenen Psychosen haben eine Veränderung der Hirnstrommuster erkennen lassen ... Der Nachweis, daß Mensch und Seele eine nicht zu trennende Einheit bilden, dürfte durch die Pioniere der modernen Hirnforschung erbracht sein." (7)

*****

   Als in den fünfziger Jahren das Fernsehen Amerika im Sturm erobert, ist dies vor allem ein Siegeszug der Fernsehwerbe- und Telekommunikationsindustrie. "Science and Business" (8) gehen in dieser Zeit immer vielfältigere und engere Beziehungen ein: Der "Technologie-Transfer" von den "angewandten" Wissenschaften (etwa der Elektrotechnik) zur Industrie beschleunigt sich. Stillschweigend und wie selbstverständlich wird dabei auch die für wirtschaftlich-technische Ausbeutung sakrosankte Grenze zur Humanwissenschaft Psychologie - der Wissenschaft vom bewussten und unbewussten Seelenleben des Menschen – aufgehoben. Denn: In der boomenden Telekommunikationsindustrie wächst der Bedarf an informations-technischen Innovationen; in der boomenden Fernsehwerbeindustrie wächst – analog dazu – Der Bedarf an psycho-technischem "Know-How".

   Auf dem unbegrenzten Operationsfeld Kommerzfernsehen "erschließen" die Telekommunikationsindustrie und die Fernsehwerbe- und Unterhaltungsindustrie "arbeitsteilig" einen "gemeinsamen Markt". Komprimiert gesagt, liefert erstere die Bildschirme und letztere das, was auf den Bildschirmen zu sehen sein soll. Das gemeinsame Interesse beider Branchen bestimmt die Stoßrichtung der Offensive: Es gilt, die Bevölkerung (ihr selbst unbewußt) auf Gedeih und Verderb mit "massen-attraktiven" kommerziellen Fernsehprogrammen nachhaltig an die Bildschirme zu fesseln. (Zugleich liegt es in der fragilen "Natur" eines solchen - von Grund auf unzulässigen und antihumanen - Beeinflussungsverfahrens, daß es gegenüber der Öffentlichkeit mit äußerster Verschwiegenheit behandelt wird.)

   Entsprechend dieser Intention entwickelt sich eine eigene Richtung der psychologischen "Kommunikations"-Forschung (mit einem inzwischen schier unübersehbaren Ausstoß an Publikationen). Ihr Forschungsgegenstand ist nicht Kommunikation als Verständigung der Menschen untereinander (wie man zunächst aus ihrem Namen schließen möchte). Sondern ihr Untersuchunsgegenstand ist ausschießlich das "Fernseh-Verhalten" der Menschen, d.h. deren "Kommunikation" mit dem Bildschirm. Die Frage, ob Untersuchungen dieser Ausrichtung der erkennend gerichteten oder der wollend gerichteten psychologischen Forschung zugerechnet werden müssen – so der Unterscheidungsvorschlag des Münchner Philosophen Eberhard Avé-Lallemant – dürfte nicht schwer zu beantworten sein. (9)

*****

   Aus einem ganz anderen Blickwinkel als die anfangs erwähnten Psycho-Physiologen beschäftigt sich Marie Winn ("Die Droge im Wohnzimmer") mit den tiefgreifenden psychologischen Wirkungen des kommerziellen Fernsehens. Denn sie beschreibt und analysiert diese Wirkungen nicht aus der verengten Perspektive des laborgebundenen Datensammlers, sondern gestützt auf die häusliche Alltagserfahrung der Zuschauer. (10)

Dabei weist sie auf das allgemein bekannte Phänomen hin, daß viele Menschen das Fernsehen wie eine Droge gebrauchen, die sie jederzeit per Fernbedienung "abrufen" können. Tag um Tag und Abend für Abend erliegen sie so immer neu der Bannkraft und Suggestion dieses Mediums, das ihre Wohnräume wie durch einen Zauber zu beleben scheint und sie vorübergehend einer als belastend erlebten Realität entzieht. Damit zusammenhängen kann auch die bewußte oder unbewußte Vermeidung von Gesprächen und von Intimität durch intensiven TV-Konsum. Kleine Kinder werden durch Fernsehen in einen tranceartigen Zustand der körperlichen und geistigen Bewegungslosigkeit ("Fernsehtrance") versetzt, der ihre gesunde und normale Gesamtentwicklung behindert. Der sichtbare Ausdruck dieses tranceartigen Zustands bei Kindern ist das "Glotzen". (11)

*****

   Als wachstumsorientierte Wirtschaftsbranche folgt die Fernsehwerbe- und Unterhaltungsindustrie dem Markt-Prinzip des "Wettbewerbs um jeden Preis". Das Diktat dieses totalen Wettbewerbs unterwirft kommerzielle Sender dem Zwang, zur Ausschaltung jeglicher Konkurrenz möglichst hohe Einschalt-Quoten zu erzielen. Der Zwang zur Erzielung hoher Einschaltquoten bringt deshalb folgerichtig Programm-Stereotype hervor, die die Tendenz haben, Fernsehen zur Einschalt-Droge zu machen. Dies aber – der offenkundige Wirkungs-Zusammenhang zwischen medien-ökonomischem Druck und medien-psychologisch erzeugtem Suchtverhalten – ist nun nicht mehr "nur" das individuelle Problem einzelner Betroffener. Sondern er wird unweigerlich auch zum Problem für das hochempfindliche – und psychologisch störanfällige – Gesamtgefüge der Gesellschaft.

*****

   Vor dem Hintergrund dieser beunruhigenden Entwicklung kamen gegen Ende der achtziger Jahre die Vorkämpfer der mechanistisch eingestellten Medienforschung zu dem Ergebnis, daß "signifikante" psychologische Wirkungen durch quotenorientiertes Fernsehen "wissenschaftlich nicht nachweisbar" seien. In einem Artikel "Medienwirkung: Der große Bluff" (in PSYCHOLOGIE HEUTE, 3/88) hieß es dazu: 

"Linke und Rechte teilen sich in eine beiden liebgewordene Gewißheit: Massenmedien üben eine gewaltige Wirkung auf das Bewußtsein der Menschen aus. Deshalb ist es so ungeheuer wichtig, möglichst viele Menschen unter Kontrolle zu bekommen. Nach Ansicht des Yale-Professors William J. McGuire, seit Jahrzehnten die graue Eminenz der psychologischen Medienforschung, sitzen sie damit dem größten Bluff seit der Scheibenförmigkeit der Erde auf. Jahrzehnte empirischer Forschung und viele tausend Einzelstudien haben keinerlei Beweise für die Richtigkeit der populären Einflußmythen erbracht".

(Eine "graue Eminenz" ist, laut Duden, eine "nach außen kaum in Erscheinung tretende, einflußreiche (politische) Persönlichkeit". Der Autor des Artikels erklärt nicht, was wir unter "grauen Eminenzen" in den Wissenschaften verstehen sollen – und wie sie dort überhaupt hineingeraten sind.)

   Korrekterweise hätten nun die Verkünder dieses wissenschaftlichen Offenbarungseids großen Stils ihrer Aussage sofort klar und deutlich hinzufügen müssen: Mit unserem Ansatz und mit den auf unserem Ansatz basierenden Untersuchungs-Methoden nicht nachweisbar. Weil aber diese notwendige Einschränkung nicht gemacht wird (die jedenfalls die grundsätzliche Seriosität der in Frage stehenden Forschungsrichtung unter Beweis stellen würde), wird nunmehr – ganz im Sinne der hier auf den Plan drängenden mächtigen Interessengruppen – dieser Befund als "abschließende Wissenschafts-Erkenntnis" weltweit kolportiert.

Und die soll ja nichts anderes "beweisen" als dies: Die psychologischen Wirkungen des Quotenfernsehens sind offenkundig so minimal, daß sie "nicht einmal" experimentell nachgewiesen werden können. Und weil der veraltete Glaube an eine rein mechanistische Erklärbarkeit seelischer Prozesse immer noch nicht ganz ausgestorben ist, kann diese Behauptung dann vor allem gegenüber Gesetzgebung und Rechtsprechung erfolgreich als "Freispruch" ausgelegt werden – in bezug auf eine auch weiterhin ungehinderte Durchsetzung globaler Fernseh-Werbestrategien.

*****

  Diese aber gehorchen nun ganz anderen psychologischen Gesetzen als jenem einfachen Reiz-Reaktions-Schema einer naiven "Oberflächen"-Theorie. Erkenntnissen der psychoanalytischen Entwicklungspsychologie insgeheim verpflichtet, bestimmen sie – als durchgängiges Gestaltungsprinzip – das gesamte Operationsfeld Quotenfernsehen, d.h. die direkte Fernsehwerbung ebenso wie die sie umschließenden "massen-attraktiven" Unterhaltungs-Mantelprogramme. Werbung und kommerzielle Unterhaltung stehen dabei in einer "symbiotischen" Beziehung zueinander: keines der beiden Elemente ist lebensfähig ohne das andere. Werbung benötigt als Rahmen Unterhaltung, kommerzielle Unterhaltung benötigt als Bedingung ihrer Realisation Werbung.

   Und gemäß ihrem untergründigen Code (der von uns nicht entschlüsselt werden soll) zielen die oben erwähnten globalen Strategien eben auch nicht - wie etwa McGuire nahezulegen versucht - in erster Linie oder gar ausschließlich auf den vielbeschworenen "kognitiven" Bereich und damit auf unser Bewußtsein. Sondern sie zielen zuerst und vor allem auf die tief unbewussten Schichten der menschlichen Psyche – das verborgene Kraftfeld fortdauernder Konflikte und nicht besänftigter Beunruhigungen aus früher Kinderzeit. Hierher gehört – oder kann gehören – die früh entstandene Unsicherheit und Angst (verschmolzen mit dem absurden Gefühl alter Scham und Schuld), nichts wert zu sein, nicht sauber und attraktiv, nicht liebenswert zu sein.

   Die künstlich aufgebauten, durch und durch synthetischen - "makellosen" - Markt-Idole der Werbung haben Demütigungs-Funktion: der "Normalbürger" und die "Normalbürgerin" sollen ihr eigenes, "durchschnittliches" Äußeres ununterbrochen an diesen Idolen messen. Latente Gefühle der Selbst-Unsicherheit werden dadurch gezielt verstärkt und mobilisiert. Zugleich bietet die Werbung erfolgreich ihre "Heil- und Trostmittel" gegen die künstlich stimulierten, unzulässig wieder aufgerührten Gefühle von kindlicher Unterlegenheit und "Minderwertigkeit" an. (Siehe dazu Auszüge aus dem Artikel "Schiffer-Barbie" in der Süddeutschen Zeitung vom 13.12.2000 in den nachfolgenden Anmerkungen.)

   Das Fernsehen mit seinen unendlich variablen Möglichkeiten der Kombination von Bildern, Klängen und gesprochenem Text hat auch unbegrenzte Möglichkeiten, das Psycho-Drama unserer Kindheit immer neu für uns zu inszenieren (Stereotype daraus finden sich z.B. in den "Soaps"). Das Fernsehen kann deshalb als optimales Instrument der Werbung gebraucht bzw. mißbraucht werden. Mit anderen Worten: Das Drama unseres je eigenen Kindheitsweges - die hochverletztliche Sphäre der Phasen und Krisen unserer inneren Entwicklung - ist für die Strategen des Quotenfernsehens ein ideales und schlechthin unerschöpfliches Operations- und Ausbeutungsterrain.

* * * * *


___________________
Anmerkungen und Fußnoten:

Schiffer-Barbie: Wie die Werbung nicht nur Frauen Weihnachten versaut:

"Wenn ich eine Frau wäre und frühmorgens in meiner dicksten Daunenjacke an der Bushaltestelle stehen würde und als Lichtblick des Tages gerade noch den nachmittäglichen Christstollen vor mir hätte und dann die H&M Kampagne mit Claudia Schiffer sehen würde - ich glaube, ich würde sie anzünden! Daß jedes Jahr zur Weihnachtszeit die Frau von der Straße mit den perfektesten und nacktesten Modelkörpern der Welt beschossen wird, ist eigentlich an Perfidie nicht zu übertreffen. H&M hat es geschafft: Nicht nur ist es...  Claudia Schiffer als Brigitte Bardot (zwei Sexsymbole in einem - der doppelte Stress), es ist Claudia Schiffer als Brigitte Bardot mit so viel computergraphischer Nachbereitung, daß sich normale Frauen erschießen können. Bald werden Sekretärinnen an den Bushaltestellen der Republik verenden, weil sie ein Hüftkettchen der aufbereiteten Claudia nicht mal als Stirnband tragen könnten.

An diesen Bildern wurde alles nachgemalt - die Taille eingeknickt, die Beine länger, die Proportion zwischen Oberkörper und Beinen in Richtung Barbie verändert. Daß Barbie anatomisch nicht laufen könnte, ist bekannt: Claudia Schiffer kann auf diesen Bildern nicht nur nicht laufen, sie kann auch nicht essen und auch nicht sterben - denn sie ist nicht mehr menschlich. Sie ist ein Humandroid, Cyber Barbie ... Nehmen wir mal an, Claudia Schiffer ist die schönste Frau der Welt - ist es nicht grotesk, daß gerade bei ihr durch Computergraphik noch alles verändert wurde? Diese Bilder, die Millionen Frauen auf das Laufband und in die Magersucht treiben - werden sie vielleicht von irgendeiner Presse attackiert oder von irgendeiner feministischen Gruppe von den Plakatwänden gerissen? ...

Bei uns Männern ist es ja inzwischen genau so! Bei jedem Men's-Health-Cover sind die Bauchmuskeln  genau so nachgepixelt - und darunter stehen die Cosmopolitan- Überschriften der frühen siebziger Jahre: "Der perfekte Bauch in drei Wochen" oder "Italienisch kochen ohne Fett". Ich könnte mich jeden Tag darüber aufregen, daß wir Männer anscheinend denselben Weg durch Magersucht und Fitneßwahn gehen müssen, den die Frauen - wie ich dachte - in den siebziger Jahren schon hinter sich gelassen hatten. Aber mit Vorbildern wie Schiffer-Barbie oder den neuen Engeln für Charlie, die zusammen soviel wiegen wie ein Oskar, ist die Frau 2001 noch mehr im Streß als jede Frau davor: Karriere, Traummann, Kinder, Lifestyle, Luxus - und aussehen wie Cameron Diaz! ..." (Süddeutsche Zeitung, 13. Dezember 2001)

* * * * *

1) Wright, Karen, Body Shop? Advertisings's infatuation with physiology has cooled, in: Scientific American, 11/88, 98B

2) v. Uexküll, Thure (Hrsg.), Psychosomatische Medizin, 5. erw. Aufl., Verlag Urban & Schwarzenberg, 1998

Vg. Auch Rusterholz, Peter und Svilar, Maja (Hrsg.), Welt der Zeichen – Welt der Wirklichkeit, mit Beiträgen von Th. V. Uexküll, R. Posner, W. Engemann u.a., in: Berner Uni-Schriften 1993

3) Pawlow, Iwan Petrowitsch, Sämtliche Werke, Hrsg. V. L. v. Pickenhain, Berlin 1954

4) Zitiert nach Doucet, Friedrich, Geschichte der Psychologie, München 1971

5) Berger Hans, Über das Electroencephalogramm des Menschen, zuerst veröffentlicht in: Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten, Bd. 87 (1929 – 1935)

6) Kindler, Nina: Herausgeberin der Kindler-Taschenbuchreihe Geist und Psyche

7) Doucet, Friedrich, Geschichte der Psychologie, a.a.O.

8) Science and Business: Eine Rubrik der Zeitschrift Scientific American

9) Avé-Lallemant, Eberhard, Politik und Phänomenologie, Vorlesung, WS 1989/90, LMU München

10) Winn, Marie, Die Droge im Wohnzimmer, Reinbek 1979

11) Winn, Marie, Die Droge im Wohnzimmer, 27 ff.:

Fernsehtrance:

Unter der Überschrift "Eine gefährliche Bewußtseinsveränderung" schreibt die Autorin über das Fernsehen von Kindern im Vorschulalter: " ‚Ich halte das Fernsehen für eine ziemlich bemerkenswerte geistige Leistung', erklärte Dr. Edward Palmer, der wissenschaftliche Leiter von ‚Sesamstraße' ... Durch die Schilderungen, die Mütter von dem Verhalten ihrer kleinen Kinder geben, wird der Eindruck, daß das Fernsehen eine anregende, geistige Beschäftigung sei, jedoch keineswegs erhärtet."

Ebd., 39 ff.: " ‚Wenn Charles vom Kindergarten nach Hause kommt, macht er es sich mit seiner gesamten Ausrüstung – seiner Decke und seinem Daumen – vor dem Kasten bequem. Dann versinkt er in einen Trancezustand. Es ist fast unmöglich, seine Aufmerksamkeit zu erlangen. So sieht er stundenlang zu, wenn ich ihn lasse. Aber obwohl er nicht den Eindruck macht, wirklich ganz wach zu sein, scheint er auch nicht zu schlafen ... Ich weiß nicht, was es ist. Er scheint einfach mesmeriert zu sein.'

‚Mein Fünfjähriger ist völlig weggetreten, wenn er fernsieht. Er wird von den Vorgängen auf dem Bildschirm total gefangengenommen. Er ist vollkommen gefesselt, wenn er zuschaut, und nimmt nichts um sich herum wahr. Wenn ich ihn anspreche, während er fernsieht, hört er mich einfach nicht. Um zu ihm durchzudringen, muß ich das Gerät abschalten. Dann kommt er wieder zu sich.'

‚Wenn Tom fernsieht, geht er nicht ans Telefon, obwohl es gleich neben ihm laut läutet. Er hört es einfach nicht.' Immer wieder schildern Eltern, oft mit beträchtlicher Sorge, den tranceartigen Zustand, in den ihre Kinder beim Fernsehen geraten. Der Gesichtsausdruck des Kindes verändert sich. Der Kiefer ist entspannt und hängt leicht geöffnet herab; die Zunge berührt die Schneidezähne (soweit vorhanden). Die Augen machen einen glasigen, leeren Eindruck. In Anbetracht der unbegrenzten Vielfalt kindlicher Persönlichkeiten und Verhaltensmuster staunt man umso mehr, wie sehr sich der Bewußtseinszustand der Kinder während des Fernsehens zu gleichen scheint.

Dr. Brazleton, ein Pädriatiker, der über Kinder schreibt, beschreibt ein Experiment mit Neugeborenen, das für die Fernsehtrance relevant sein könnte:

‚Wir setzten eine Gruppe ruhig daliegender Säuglinge einem beunruhigenden visuellen Reiz aus – einer grellen Operationslampe, die in 60 cm Entfernung über ihren Köpfen angebracht war. Die Lampe wurde drei Sekunden lang eingeschaltet, dann eine Minute lang abgeschaltet. Dieser Vorgang wurde zwanzigmal wiederholt. Während des ganzen Tests wurden der Herzschlag, die Atmung und die Gehirnwellen der Babies gemessen. Beim ersten Anschalten des Lichts waren die Säuglinge sichtlich beunruhigt; die Heftigkeit ihrer Reaktion verringerte sich jedoch nach mehrmaliger Wiederholung des Lichtreizes sehr rasch. Nach dem zehntenmal waren keine Veränderungen des Verhaltens, des Herzschlags oder der Atmung feststellbar. Nach dem fünfzehnten Anschalten tauchten EEG-Schlafmuster auf, obwohl kein Zweifel bestand, daß ihre Augen noch Licht aufnahmen. Nach Ablauf dieses Reizgeschehens erwachten die Kinder schreiend und um sich schlagend aus ihrem ‚induzierten' Schlaf. Unser Experiment bewies, daß das Neugeborene nicht auf Gnade oder Ungnade seiner Umgebung ausgeliefert ist. Es verfügt über eine Art von Abschaltvorrichtung, durch die es ihm gelingt, mit beunruhigenden Reizen fertig zu werden.: Es kann sich abkapseln und in einen schlafähnlichen Zustand versinken. Aber wenn wir uns vorstellen, wieviel Energie das Kleinkind auf dieses Abschalten verwenden muß – Energie, die es für bessere Zwecke brauchen könnte -, dann verstehen wir, wie teuer es diese Fähigkeit bezahlen muß ...

Das Fernsehen schafft ähnlich wie das Scheinwerferlicht eine Umgebung, deren Reize das Kind bedrohen und überfluten; es kann sich ihrer nur erwehren, indem es sich über seinen Abschaltmechanismus passiver macht. Ich habe dies bei meinen eigenen Kindern ebenso beobachtet wie bei den Kindern anderer Leute. Solange sie vor dem plärrenden und flimmernden Kasten saßen und einen mit Schrecknissen verschiedenster Art gespickten Film ansahen, waren die Kinder mucksmäuschenstill ... sie waren ‚gebannt'.''

Vgl. auch Brazleton, T. Berry, How to Tame the TV-Monster, in: Redbook, April 1972

12) Degen, Rolf,  Medien-Wirkung: der große Bluff, in: PSYCHOLOGIE HEUTE, März 1988, S. 20 ff.:

"Wenn wir manchen Kulturkritikern Glauben schenken wollen, dann sind wir fest im Würgegriff der Massenmedien, deren Botschaften wir täglich ausgesetzt sind ... Es grenze schon an Massenwahn (so McGuire), mit welcher Verbohrtheit ... an diesen Trugvorstellungen festgehalten werde, ob es sich nun um linke Kulturkritiker handele, die, in der Tradition der Frankfurter Schule, gegen die Manipulation der Massen durch die Unterhaltungsindustrie räsonnieren, oder um konservative Sittenwächter, die angesichts nackter Busen und loser Sprüche den Untergang des Abendlandes beschwören. Eine der seltsamen Mischformen, die in den letzten Jahren entstanden sind, sitzt ebenfalls diesem Trug auf: der kritische Bildungsbürger, der mit wohligem Schauder liest, daß sich der Pöbel mit debilem Grinsen zu Tode amüsiert."

13) McGuire William J., The Myth of Massive Media Impact. Public Communications and Behavior, Bd. 1 (1986), 173 ff.

14) Haug, Wolfgang F., Kritik der Warenästhetik, Frankfurt a. Main 1983

15) Heller, Eva, Wie Werbung wirkt: Theorien und Tatsachen, Frankfurt a. Main 1984

- Psychologie im Marketing: Was leisten die Methoden?, in: Absatzwirtschaft, Heft 5 (1980)

16) Dichter, Ernest, The Strategy of Desire, New York 1961, deutsch: Strategie im Reich der Wünsche, München 1964):

" ... Immer wieder versuchen wir, in das Nirwana embryonaler Wärme und träumerischer Unwissenheit zu entfliehen. Wir fürchten uns vor den Verführungsmethoden, weil sie das Flammenschwert des Engels sind, das, am Schleifstein der Wissenschaft geschärft, uns hindert, dahin zurückzukehren, wo wir - vermutlich irrtümlich - das 'Paradies' vermuten.

Menschliche Wünsche sind das Rohmaterial, mit dem wir arbeiten. Ihre planmäßige Steuerung ist die Form, die das Bild der Menschen prägt, sie ist die wichtigste Waffe im Arsenal dieser Welt." 

Dazu Eva Heller, Wie Werbung wirkt, a.a.O., 37:

"Die Grammatik ist Camouflage - Dichters Worte markieren Machtverhältnisse: 'Wir', die wir uns in träumerischer Unwissenheit am wohlsten fühlen, das sind wir Verbraucher; aber 'wir', die mit den menschlichen Wünschen arbeiten und durch planmäßige Steuerung das Bild des Menschen prägen - der Engel mit dem Flammenschwert - kein Zweifel: das ist der Motivanalytiker Dichter."

17) Wenn "signifikante" Medienwirkungen "wissenschaftlich nicht nachweisbar" sind und es ein "Es" (Freuds Ausdruck für das unbewußte Seelenleben) nicht gibt (wie McGuire vorgibt zu glauben), dann geht der Vorwurf der suggestiven Zuschauerbeeinflussung - also der Zuschauer-Manipulation - in der Tat ins Leere und wäre - McGuire bestätigend - ein nicht hinzunehmender Angriff auf die Sendefreiheit und künstlerische Ausdrucksfreiheit des Massenmediums Fernsehen:

W. J. McGuire: "Jeder Eingriff in die öffentliche Information, die künstlerische Ausdrucksfreiheit und die Unterhaltung ist empörend, da die Verbannung von einer Sorte Material (gemeint sind Gewaltszenarios im Fernsehen, d.Verf.) dem Verbot von anderen Tor und Tür öffnet ... Und wenn man die Darstellung von Gewalt unterbindet, weil sie etwas Schaden anrichtet, sind andere Aktivitäten, deren schädliche Folgen viel greifbarer sind,  also etwa Autofahren, Trinken, Geschlechtsverkehr und der Kirchgang, das logische nächste Angriffsziel ... Selbst wenn Künstler und Produzenten fortführen, gewalttätige Programme zu machen, und das Publikum sie weiterhin konsumierte, reichte ihr geringfügiger Effekt nicht aus, meine Abneigung gegen die Einschränkung der Pressefreiheit und andere Formen des 'künstlerischen' Ausdrucks zu übertönen ... Der Forschung auf diesem Gebiet ist es nicht gelungen, Signale für politische Entscheidungsträger zu setzen. (The Myth of Media Impact, zitiert nach R. Degen: "Medienwirkung: Der große Bluff", S. 24)

Solche Gedankengänge aus der Feder der "grauen Eminenz der psychologischen Medienforschung" waren in den 80er Jahren von unschätzbarem Argumentationswert für die nach Europa ausgreifenden bzw. dort entstehenden Medien- und Telekommunikationskonzerne gegenüber den politischen Entscheidungsträgern in  Europa (wie der letzte Satz McGuires klar zum Ausdruck bringt).

 

 

Startseite Bewusstseins-Politik Medienpsychologie: Science & Business
Zeitdieb Quotenfernsehen Brot und  Spiele fürs "unbedarfte Volk"? Ideologische Herrschaft
Kinder - im Netz gefangen Bernward Wembers Analyse Jedes vierte Kind sprachgestört durch Medienbrutalität
Aktuell: Volksentscheide  nach Schweizer Vorbild Medienlandschaft ohne Fernsehen Medienpolitik - Mediengewalt - Verrohung
Love-Stories & Medienkapitalismus Unter dem Joch von Ideologie & Technokratie Daumenschrauben für ARD und ZDF
PISA - und das Recht auf Kindheit Terror und Kindheit Bücher: Klassiker & Neuerscheinungen