Vor einem


 Trümmerhaufen

 

Gelähmt, zerstritten, gespalten. Der UN-Sicherheitsrat hat Syrien keinen Frieden bringen können, Vermittler Brahimi gibt frustriert auf. Und Präsident Assad verteidigt erfolgreich seine Macht.

Von TOMAS AVENARIUS
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Kairo – Der alte Herr war ehrlich mit sich und mit den von ihm und den von der Welt verlassenen Syrern: „ich gehe bedrückt, denn es ist wenig erreicht worden. Beim syrischen Volk entschuldige ich mich in Demut.“

Mit der ihm eigenen Eleganz und Gelassenheit hat Lakhdar Brahimi, Syrien-Vermittler der Vereinten Nationen, bei seinem letzten Auftritt vor dem UN-Sicherheitsrat eingeräumt, dass er an einer unlösbaren Aufgabe gescheitert war: Syrien dem Frieden näher zu bringen nach dreieinhalb Jahren Bürgerkrieg und mehr als 150 000 Toten.

Der UN-Sicherheitsrat ist schon lange in zwei Lager gespalten: hier die Unterstützer des syrischen Regimes, dort jene, die auf Seiten der Rebellen und ihrer Hintermänner stehen. Was nach der Rede des scheidenden Sonderbeauftragten aus dem Gremium zu hören war, machte denn auch wenig Hoffnung auf plötzliche Einsicht bei den Verantwortlichen: plumpe Schuldzuweisungen von allen Seiten statt realistischer Vorschläge, wie sich der blutige Konflikt beenden oder eindämmen ließe. Und als reichte dies nicht, steht über all dem die Dreistigkeit von Syriens Staatschef Baschar al-Assad: Er will sich am 3. Juni mitten im Krieg wiederwählen lassen. Die Zukunft Syriens ist also mehr als düster, mit oder ohne Brahimi.

Der 80-jährige Algerier hatte seinen Auftrag als Syrien-Vermittler der UN und der Arabischen Liga im August 2012 übernommen. Kurz zuvor hatte der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan als Syrien-Beauftragter aufgegeben: Er hatte ein halbes Jahr lang vergeblich verhandelt mit dem Assad-Regime, den Vertretern der Aufständischen und mit den internationalen Hintermännern der Kriegsparteien. Der tief frustrierte Annan hatte beim Abschied mit Kritik nicht gespart. Er hatte die Vetomächte im UN-Sicherheitsrat verantwortlich gemacht – zu Recht, denn die Konstanten des Konflikts sind bekannt. Es geht nicht nur um Assad und seine Gegner, die Aufständischen. Ebenso wichtig: Iran und die UN-Vetomacht Russland stehen ohne jede Skrupel auf der Seite Assads. Die USA, wie Franzosen und Briten mit einem Vetorecht ausgestattet, unterstützen politisch ebenso kalt kalkulierend zusammen mit den meisten EU-Ländern und den arabischen Golf-Staaten die Rebellen – mit Geld, Waffen oder Experten, wenn auch in unterschiedlichem Maße und mit unterschiedlichen Präferenzen bezüglich der Rebellengruppen.

Mit Einigkeit im Sicherheitsrat ist nicht zu rechnen. Nun wird auch in der Ukraine-Frage gestritten.

Das Kräftemessen zwischen der Achse aus Moskau, Teheran und Damaskus samt der libanesischen Hisbollah und der westlich-arabischen Anti-Assad-Fraktion spiegelt sich im Sicherheitsrat deutlich wieder. Alle drei Resolutionsentwürfe samt Sanktionsandrohungen, die bisher von den westlichen und arabischen Staaten eingebracht worden waren, sind am Veto Russlands und Chinas gescheitert. Annans Schlussfolgerung war daher dieselbe gewesen, die Brahimi nun im Frühjahr 2014 zog: Ohne Einigung der Vetomächte lässt sich der Syrien-Konflikt auf absehbare Zeit kaum beenden.

 Selbst der meist diplomatisch um den Punkt herum formulierende UN-Generalsekretär Ban Ki Moon kritisierte den Sicherheitsrat nach Brahimis Rücktritt: Die Friedensbemühungen hätten „keine wirksame Unterstützung gefunden sowohl von Seiten des UN-Gremiums, dessen Aufgabe die Wahrung von Sicherheit und Frieden ist, als auch von Seiten der Staaten, die Einfluss haben auf dem syrischen Spielfeld. Das ist eine Niederlage für uns alle.“

Mit neuer Einigkeit im Sicherheitsrat ist nicht zu rechnen. Im Gegenteil – die USA und die EU streiten neuerdings mit Russland auch noch erbittert über die Ukraine-Frage. Die Gemeinsamkeiten zwischen Washington und der EU werden also weniger. Das syrische Kräftemessen geht dennoch weiter. Neue Resolutionsentwürfe gegen Assad sollen in dieser Woche folgen. Frankreich etwa will eine Resolution einbringen, nach der syrische Kriegsverbrechen vom internationalen Strafgerichtshof verfolgt werden sollen. Der syrische Präsident wäre einer der ersten Kandidaten für die Untersuchungen der Strafverfolger. Doch Russlands UN-Botschafter Vitali Tschurkin hat Moskaus Veto bereits wenig verklausuliert angekündigt: „Das ist keine gute Idee.“

UN-Generalsekretär Ban hingegen steht mit Brahimis Rücktritt vor einem Trümmerhaufen. Während Nichtregierungsorganisationen die humanitäre Hilfe der UN für syrische Kriegsopfer als wenig zielgerichtet und oft wirkungslos kritisieren, muss er einen neuen Syrien-Vermittler suchen. Im Gespräch als Brahimis Nachfolger ist angeblich der frühere tunesische Außenminister Kamal Morjane. Es werden aber auch andere Namen gehandelt für den undankbaren Job.

Brahimis eigene Erwartungen an seine Aufgabe waren bescheiden gewesen: Er erwarte keinen raschen Durchbruch, hatte er zu Anfang seiner Mission gesagt. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Annan hatte Algeriens Ex-Außenminister als Friedensvermittler aber zumindest einen Teilerfolg erzielt: Er hatte die Gegner mit der ihm nachgesagten Engelsgeduld erstmals zu einer Friedenskonferenz zusammengebracht. Die zwei Phasen der Genfer Syrien-Gespräche endeten dennoch ohne tragfähige Ergebnisse.

Einer der Hauptgründe für das Scheitern der Gespräche über eine „Regierung der nationalen Einheit“ war Assads Weigerung, die politische Bühne zu verlassen und ins Exil zu gehen. Für die Aufständischen blieb in Genf trotz ihrer Niederlagen ein Syrien mit dem derzeitigen Präsidenten als Chef unvorstellbar.

Der Staatschef, derzeit militärisch erfolgreich, sieht in seinen Gegnern nur „Terroristen“ – seien es Kämpfer der Freien Syrischen Armee, halbwegs gemäßigte Islamisten oder aber radikale Gotteskrieger aus dem Irak und anderen arabischen Staaten. Als akzeptable Opposition, mit der er verhandeln würde, betrachtet Assad allein die von ihm geduldete und derzeit gehätschelte Regime-Opposition.

Damit nicht genug: Nach den jüngsten Niederlagen der Aufständischen, die erst entlang der libanesischen Grenze ihre Hochburgen und Rückzugsgebiete verloren und vergangene Woche auch die „Revolutionshochburg Homs“ räumen mussten, will Assad seinen mit militärischer Gewalt verteidigten Machtanspruch nun mit vermeintlich „demokratischen Wahlen“ krönen. Bei den Präsidentschaftswahlen am 3. Juni wird er mit größter Wahrscheinlichkeit im Amt bestätigt werden. Seine Gegenkandidaten sind weitgehend unbekannt und chancenlos. In großen Teilen des Landes kann wegen der Sicherheitslage nicht gewählt werden. Und die eigentlichen Regimegegner und Aufständischen , ob militant oder friedlich, können, dürfen und wollen keine Kandidaten antreten lassen.

Was der als internationaler Krisenvermittler überaus erfahrene Brahimi über die Wahlpläne Assads denkt,  hat er den UN-Sicherheitsrat bei seinem Abschied in geschliffener Diplomatensprache sehr genau wissen lassen: „Die Ankündigung der syrischen Führung, dass im kommenden Monat Präsidentschaftswahlen abgehalten werden sollen, bei denen der Amtsinhaber der einzig ernstzunehmende Bewerber ist, verringert die Chance auf eine politische Einigung zusätzlich.“

 Copyright by Süddeutsche Zeitung, Donnerstag, 15. Mai 2014.
 

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Mai 2014